1.
Geliebteste! Derjenige ist ein wahrer Verehrer und frommer Teilnehmer des heutigen Festes, der weder über die Menschwerdung des Herrn irgendeine falsche Meinung hat, noch über seine Gottheit irgend etwas Unwürdiges glaubt. Ist es ja ein gleich gefährliches Übel, ihm entweder die Wahrhaftigkeit unserer Natur oder die Gleichheit seiner Herrlichkeit mit dem Vater abzusprechen. Wenn wir also darangehen, das Geheimnis der Geburt Christi, durch das er aus jungfräulicher Mutter Fleisch annahm S. 116eingehend zu betrachten, so laßt uns dabei das im Dunkeln tappende Grübeln der Menschen weit von uns weisen! Verschwinden soll vor unserem durch den Glauben geklärten Blicke die Dunstwolke weltlicher Weisheit! G o t t ist der Bürge, dem wir Vertrauen schenken, von Gott stammt die Lehre, der wir folgen; denn mögen wir dem Zeugnisse des Gesetzes oder den Weissagungen der Propheten oder dem laut erschallenden Rufe des Evangeliums unser geistiges Ohr leihen, wahr ist, was der selige Johannes, erfüllt vom Heiligen Geiste, mit Donnerstimme verkündete: „Im Anfange war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch dasselbe gemacht worden, und ohne dasselbe wurde nichts gemacht“1 . Und ebenso wahr ist, was derselbe Prediger hinzufügte: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, als des Eingeborenen vom Vater“2 . In beiden Naturen ist also ein und derselbe Sohn Gottes, der annimmt, was unser ist, und nicht preisgibt, was sein eigen ist, der als Mensch den Menschen erneuert und in sich ewig unveränderlich bleibt: Denn die Gottheit, die er mit dem Vater teilt, hat keinerlei Einbuße an ihrer Allmacht erfahren, und die Knechtsgestalt der Natur Gottes keinen Eintrag getan. Zwar hat das höchste und ewige Wesen, das sich zur Erlösung der Menschheit herabließ, uns zu seiner Herrlichkeit emporgehoben, aber dabei nicht aufgehört zu sein, was er war. Wenn darum der Eingeborene Sohn Gottes von sich bekennt, er sei geringer als der Vater3 , dem er sich dann wieder gleichstellt4 , so weist er damit deutlich auf die Wahrhaftigkeit seiner zweifachen Natur hin: Die Ungleichheit gibt Zeugnis von seiner menschlichen, die Gleichheit Zeugnis von seiner göttlichen Natur.
