10. Kap. Anwendung des Gesagten auf das Kränzetragen im allgemeinen.
Wenn man uns also entgegenhält, Zieraten heidnischer Götter kämen auch bei Gott vor, um damit das Bekränzen des Kopfes für den allgemeinen Gebrauch zu retten, so stellt man damit für sich selbst das Präjudiz auf, daß wir an keinem Gebrauche teilnehmen dürfen, der sich in der heiligen Geschichte nicht findet. Was ist wohl Gottes so unwürdig, als was einem Idole ansteht? Was steht einem Idole aber so gut an, als das, was auch einer Leiche ansteht? Auch bei Leichen kommen solche Bekränzungen vor, schon aus dem Grunde, weil manche Tote alsbald zu Idolen werden durch den üblichen Anzug und Putz bei der Apotheose, welche bei uns als Idololatrie zweiten Ranges gilt. Es wird also Sache derer sein, welche der Empfindung entbehren, sich dieses Gegenstandes, dessen Empfindung sie entbehren, in gleicher Weise zu bedienen, als wie wenn sie es mißbrauchen wollten, wenn sie seiner Empfindung nicht entbehrten. Es gibt aber keinen Raum für einen Mißbrauch, wenn der richtige Gebrauch fehlt, indem das Empfindungsvermögen fehlt. Wer kann irgendeine beliebige Sache mißbrauchen, wenn es für ihn keine gibt, die er gebrauchen kann?1 Uns aber ist vom Apostel nicht gestattet, Mißbrauch mit etwas zu treiben, der da lehrt, eher gar keinen Gebrauch2 zu machen, wobei bestehen bleibt, daß, wer empfindungslos ist, auch keinen S. 250Mißbrauch treibt. Allein das Ganze ist gegenstandslos und selbst ein totes Werk, soweit die Idole in Frage kommen. Leben hat die Sache allerdings, soweit die Dämonen ins Spiel kommen, auf welche die abergläubischen Gebräuche sich zuletzt beziehen3. „Die Götzen der Heiden“, sagt David, „sind Gold und Silber. Augen haben sie und sehen nicht, Nasen und riechen nicht Hände und berühren nicht“4. Nur mittels dieser Sinne nämlich vermag man die Blumen zu empfinden. Wenn er weiter erklärt, daß die, welche Idole verfertigen, ihnen gleich werden würden5, dann sind die, welche etwas dem Putze der Idole Entsprechendes anwenden, bereits ihnen gleich. „Den Reinen ist alles rein“6, ebenso auch den Unreinen alles unrein; nichts aber ist unreiner als die Götzen.
Übrigens, die Substanzen sind als solche, weil eine Sache Gottes, rein und vermöge dieser ihrer Reinheit allgemein zu gebrauchen. Aber die Art und Weise des Gebrauches selbst ist verschieden. Ich schlachte mir auch für meinen Gebrauch, so gut wie Sokrates für den Äskulap, einen Hahn, und wenn mich der Geruch irgendeines Ortes beleidigt, so zünde ich die Produkte Arabiens7 an, aber nicht unter den Gebräuchen, in der Kleidung und mit den Zurüstungen, wie es bei den Götzen geschieht. Denn wenn die Schöpfung schon durch ein bloßes Wort in einen Zustand der Befleckung gerät - wie der Apostel lehrt: „Wenn jemand sagt: 'das ist den Götzen Geopfertes', so rühret es nicht an“8 - um wieviel mehr wird durch die Kleidung, den Ritus und die Zurüstungen der Götzenopfer eine Befleckung herbeigeführt! Auf diese Weise wird auch aus dem Kranze ein Götzenopfer. Denn unter solchem Ritus, in dieser Kleidung und mit diesem Aufzug wird den Idolen geopfert, die selbst die Urheber davon sind und denen der Gebrauch derselben S. 251hauptsächlich darum zueignet, damit nichts zum allgemeinen Gebrauch zugelassen werden könne, was sich in der heiligen Geschichte nicht findet.
Deswegen ruft der Apostel: „Fliehet den Götzendienst!“9 Jeden Götzendienst nämlich und den ganzen. Denke an den Wald10 und wie viele Dornen darin verborgen sind! Man darf dem Idol nichts darbringen und ebensowenig von ihm etwas nehmen. Wenn es sich mit dem Christentum nicht verträgt, sich in einem Götzentempel zur Tafel zu legen, wie kann man sich in götzendienerischer Tracht sehen lassen? „Welche Gemeinschaft hat Christus mit Belial?“11 Deshalb fliehet! Unser weiter Abstand von dem Götzendienst legt uns ans Herz, ihm ja in keinem Stücke nahe zu kommen. Sogar der Drache auf der Erde12 wird die Menschen schon von weitem durch seinen Atem hinwegraffen. Mit noch lauterer Stimme ermahnt Johannes13: „Kindlein, wahret euch vor den Götzen“, nicht mehr vor der Idololatrie, ihrem Dienste, sondern vor den Götzen, d, i. selbst vor ihrem Bilde; denn es wäre etwas Unwürdiges, wenn du, das Abbild des lebendigen Gottes, ein Abbild eines Götzen und eines Verstorbenen werden wolltest14. In einemfort behaupten wir, die in Rede stehende Tracht gehöre, sowohl auf Grund der Prüfung ihres Ursprunges, als auch ihrer Anwendung bei der Ausübung des Aberglaubens, den Idolen eigentümlich an. Durch den Umstand, daß sich in der heiligen Geschichte nichts darüber berichtet findet, wird sie außerdem immer mehr und mehr denen zugewiesen, in deren Altertümern, bei deren Feierlichkeiten und Diensten sie angetroffen wird.
Schließlich werden auch die Türen, die Opfertiere und Altäre selbst, sowie deren Diener und Priester bekränzt. Die den Priesterkollegien zukommenden Arten von Kränzen findest du sämtlich bei Claudius namhaft gemacht. Wir haben auch die Unterscheidung und Verschiedenheit S. 252zwischen den Kränzen, die vernunftgemäß, und denen, die unvernünftig sind, einfließen lassen, welche sich denen entgegenstellt, die auf Grund einiger zufälliger Beispiele die unterschiedslose Erlaubtheit ihrer Anwendung bei allen Gelegenheiten verteidigen. In Bezug hierauf haben wir uns nun die Ursachen der verschiedenen Bekränzungen selbst näher anzusehen, um durch die Darlegung ihrer Fremdartigkeit, ja sogar ihrer Unverträglichkeit mit der christlichen Zucht den Beweis zu führen, daß sich keine von ihnen auf einen Vernunftgrund stütze, welcher imstande wäre, auch den Gebrauch einer solchen Tracht zu rechtfertigen, wie gewisser anderer Trachten, deren Analogie uns entgegengehalten wird.
Der Text lautet bei Oehler: Nulla vero distantia est abutendi, cum veritas cessat utendi. Cessante natura sentiendi, qua vult quis abutatur, cum non habeat, qua utatur? Aber „cessante natura sentiendi“ gehört zum vorhergehenden Satz. T. will zum Ausdruck bringen, daß die Toten nichts mißbrauchen können, weil sie von nichts Gebrauch machen können. Nulla est distantia darf nicht übersetzt werden: „es ist kein Unterschied vorhanden“ oder „der Mißbrauch liegt nicht fern“. ↩
Vgl. 1 Kor. 7,31. ↩
Vgl. ebd. 10,19. ↩
Ps. 113,12 ff. ↩
similes illis fiant, qui faciunt ea. Ps. 113,16. ↩
Tit. 1,15. ↩
Räucherpulver. ↩
1 Kor. 10,28. ↩
1 Kor. 10,14. ↩
der Idololatrie. ↩
2 Kor. 6,15. ↩
der Drache der Apokalypse, vgl. c. 12. 17. ↩
1 Joh 5,21. ↩
dadurch, daß du dich ausstaffierst wie diese. ↩
