V.
Was freut euch denn so sehr, Erregung schaffend,
Daß ihr mit eigner Hand anlockt euer Geschick?
Wie, strebt ihr nach dem Tod? Der naht von selber,
Freiwillig hemmt er nie sein geflügelt Grespann.
Ihr, die Tiger und Bär, Leu, Schlange, Eber
Scharfen Zahns bedrohn, droht mit dem Schwerte euch selbst.
S. 139 Weil euch Sitte und Brauch zu sehr entfremden,
Stürzt ihr in wilden Streit euch und frevelnden Krieg,
Wollt einander mit euren Spießen morden?
Kein vernünftiger Grund ist, der die Wildheit erklärt.
Willst du wahr nach Verdienst Vergeltung üben?
Liebe die Guten nach Recht, Böser erbarme dich mild.
V. Hierauf sagte ich: Ich sehe, welcherlei Glück und Elend der Guten und Bösen in Verdienst und Schuld begründet ist. Aber ich erwäge, wie in diesem alltäglichen Schicksal selbst sowohl etwas Gutes, wie etwas Schlechtes enthalten sei. Denn auch keiner der Weisen möchte lieber verbannt, arm, schmachbeladen, statt reich an Gütern, ansehnlich durch Ehre, stark durch Macht in seiner Heimatstadt bleiben und gedeihn; denn klarer und deutlicher werden auch die Pflichten der Weisheit vollzogen, wenn gewissermaßen die Glückseligkeit der Lenker auf die Völker, die zu ihnen gehören, überströmt, während insbesonders Kerker, Tod und die übrigen Qualen richterlicher Strafen eher den schädlichen Bürgern gebühren, für die sie festgesetzt sind. Weshalb also dieses sich völlig umkehrt, warum die Strafen der Verbrecher die Guten bedrängen, die Bösen die Belohnungen der Guten an sich reißen, darüber wundere ich mich sehr und wünsche von dir zu wissen, was der Grund dieser ungerechten Verwirrung ist. Ich würde mich weniger wundern, wenn ich glaubte, daß alles durch ein willkürliches Ungefähr durcheinander gemischt werde. Jetzt häuft sich mein Erstaunen, weil Gott der Leiter ist; wenn er oft den Guten das Angenehme, den Schlechten das Rauhe, und dann wieder im Gegenteil den Guten das Harte, den Schlechten das Erwünschte zugesteht, was unterscheidet dann ihn, wenn nicht ein Grund dafür entdeckt wird, vom willkürlichen Zufall? – Nicht verwunderlich ist es, sagte sie, wenn etwas für willkürlich und verworren gehalten wird, weil man den vemünftigen Grund der Ordnung nicht kennt. Aber wenn du auch den Grund der vollkommenen Ordnung nicht kennst, solltest du doch nicht zweifeln, daß alles richtig geschehe, da ja ein guter Lenker die Welt lenkt.
V. Wer nicht weiß, wie dem Pol nahe das Sternbild
Des Arkturus kreist, gleitend vom Gipfel,
Wie den Wagen erst spät anschirrt Bootes,
Zögemd nur ins Meer eintaucht die Flammen,
Dann sehr schnell wiederum eilet zum Aufgang,
Staunet, welch Gesetz herrschet im Äther.
Wenn des Vollmondes Licht plötzlich erbleichet,
Ihn der Mitternacht Schatten verdunkeln,
S. 141 Und die Sterne darauf wieder erscheinen,
Die sein Strahlenlicht erst noch verdeckte.
Dann erreget das Volk üblicher Irrtum,
Und vom häufigen Schlag tönen die Erze.
Aber keiner erstaunt, wenn wild der Nordsturm
Ans Gestade stößt brausende Fluten,
Oder wenn des Schnees eisige Kruste
Im Gebirge taut Hitze der Sonne;
Denn hier ist jeder Grund leicht zu durchschauen.
Nur Verborgenes bringt Herzen Verwirrung;
Nur was längere Zeit selten hervorbringt,
Unvermutet, bestaunt schwankendes Volk es.
Weicht dann Unwissenheit, nebliger Irrtum,
So verschwinden gleich Wunder des Scheines.