Dritter Artikel. Ergötzen hindert oft den Gebrauch der Vernunft.
a) Das scheint nicht so zu sein. Denn: I. Die Ruhe begünstigt in hohem Grade den Gebrauch der Vernunft, wie 7 Phys. es heißt: „Sitzend und ausruhend wird die Seele klug und weise“, oder wie Sap. 8. gesagt wird: „In mein Haus werde ich eintreten und mich ausruhen bei ihr“, nämlich bei der Weisheit. Das Ergötzen aber ist Ruhe. II. Die Thätigkeiten, welche nicht in ein und demselben Vermögen sind, mögen sie auch einander entgegengesetzt sein, hindern sich nicht. Das Ergötzen aber ist im begehrenden Teile; der Gebrauch der Vernunft im auffassenden Teile. Also ist da von einer Störung nicht die Rede. III. Was von etwas Anderem her gehindert wird, das scheint von diesem selben her Veränderungen zu leiden. Der Gebrauch der auffassenden Kraft aber ist vielmehr bestimmend für das Ergötzen als daß das Ergötzen umgekehrt ihn beeinflußte; er ist nämlich die Ursache des Ergötzens. Also hindert letzteres nicht den Gebrauch der Vernunft. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (6 Ethic. 5.): „Das Ergötzen verdirbt die Meinung der Klugheit.“
b) Ich antworte mit Aristoteles (10 Ethic. 5.): „Die der betreffenden Kraft eigenen und entsprechenden Ergötzungen vermehren und erhöhen das Thätigsein; die ihr fremden hindern es.“ Es besteht also ein Ergötzen an der Thätigkeit der Vernunft selber, wie wenn jemand sich daran freut, nachzuforschen und zu denken; und ein solches Ergötzen erhöht den Gebrauch der Vernunft. Denn das thun wir mit mehr Aufmerksamkeit, was wir gern thun; die Aufmerksamkeit aber ist eine Hilfe für das Thätigsein. Die körperlichen Ergötzlichkeiten jedoch sind aus drei Gründen ein Hindernis für den Gebrauch der Vernunft. 1. Sie zerstreuen; denn wir geben sehr acht auf das, was uns ergötzt. Geben wir aber recht stark acht auf die eine Thätigkeit, so werden wir schwächer in der anderen oder ganz darin gestört. Und deshalb, wenn das körperliche Ergötzen groß ist, hört der Gebrauch der Vernunft entweder ganz auf oder er wird in hohem Grade gehindert. 2. Zumal die Ergötzlichkeiten, welche das Maß übersteigen, sind gegen die Ordnung der Vernunft und somit im Gegensatze zu dieser. Und demnach meint Aristoteles, „die Meinung der Klugheit werde dadurch verdorben,“ nicht zwar der spekulativen, theoretischen, z. B. daß das Dreieck zwei R. enthalte, sondern die Anwendung auf die praktischen Fälle. 3. Die körperlichen Kräfte werden gebunden. Denn das Ergötzen hat zur Folge eine Veränderung im Stofflichen, Körperlichen hin; und zwar eine um so größere je heftiger das Ergötzen ist, und immer im Vergleiche zu allen anderen Leidenschaften die größte, weil das Ergötzen sich mit dem gegenwärtigen Gute beschäftigt, die anderen mit dem abwesenden,
c) I. Die Ruhe, welche das Ergötzen begleitet, ist manchmal entgegengesetzt der Ordnung der Vernunft; und immer hat sie zur Folge ein körperliches Anderswerden. Nach beiden Seiten hindert es den Gebrauch der Vernunft. II. Die begehrende und auffassende Kraft sind zwar verschiedene Kräfte,gehören aber der nämlichen Seele an. Ist also die Aufmerksamkeit der Seele auf die Thätigkeit der einen Kraft gerichtet, so ist damit ein Hindernis für die Thätigkeit der anderen gegeben. III. Der Gebrauch der Vernunft erfordert den gebührenden Gebrauch der Einbildungskraft und anderer sinnlicher Kräfte, die mit körperlichen Organen verbunden sind. Und so folgt aus der körperlichen Veränderung im Organe auch ein Hindernis für den Gebrauch der Vernunft.
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