Erster Artikel. Maria blieb Jungfrau im Empfangen.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Von Christo heißt es Luk. 2, 23., Er habe Vater und Mutter gehabt; „sie hätten sich gewundert über das, was über Ihn gesagt wurde“ . . . „Siehe, Dein Vater und ich haben Dich gesucht.“ Also ist Christus nicht empfangen von einer Jungfrau-Mutter. II. Matth. 1. wird bewiesen, daß Christus der Sohn Abrahams und Davids sei. Wenn aber Joseph nicht der Vater Christi wäre, so würde dieser Beweis gar nichts nützen; denn es wird eben bewiesen, daß Joseph von David her abstammt. III. Gal. 4. heißt es: „Gott sandte seinen Sohn, der gemacht worden ist aus dem Weibe.“ „Weib“ aber nennt die Schrift eine verheiratete Frau, die mit dem Manne ehelich zusammenlebt. IV. Christus war derselben Gattung angehörig wie die übrigen Menschen, nach Phil. 2.: „Er ist den Menschen ähnlich geworden und ward in Allem als Mensch erfunden.“ Also hatte Er auch das nämliche Entstehen wie die anderen Menschen, wie überhaupt die Dinge ein und derselben Gattung die Erzeugungsweise gemein haben. Also hatte Er Vater und Mutter. V. Jeder natürlichen Wesensform entspricht ein bestimmter specieller Stoff, außerhalb dessen sie nicht sein kann. Ein solcher Stoff für die menschliche Wesensform scheint zu sein der Same des Mannes und des Weibes. Also hatte Christus keinen wahren menschlichen Leib, wenn Er nicht in dieser Weise empfangen war. Auf der anderen Seite heißt es Isai. 7.: „Siehe, die Jungfrau wird empfangen.“
b) Ich antworte, man müsse schlechthin sagen, die Mutter Christi sei Jungfrau gewesen. Das Gegenteil ist die Ketzerei der Ebioniten und des Cerinth, die da Christum für einen bloßen Menschen hielten. Daß Christus von einer Jungfrau empfangen worden, ist nun zukömmlich wegen viererlei: 1. Wegen der Würde des Vaters, der Ihn sandte. Denn da Christus der wahre Sohn Gottes von Natur ist, so war es nicht zukömmlich, daß Er auf Erden einen Vater hatte, damit der Vater im Himmel nicht seine Würde mit einem anderen zu teilen hätte. 2. Wegen der Würde des Sohnes, der gesandt ward und der da ist das Wort Gottes. Denn das innere Wort des Herzens (verbum cordis) wird empfangen ohne Verletzung des Herzens; vielmehr läßt die Verderbnis des inneren Herzens die Empfängnis eines vollendeten Wortes (oder Idee) nicht zu. Weil also das Fleisch vom Worte Gottes so angenommen ward, daß es werde das Fleischdes göttlichen Wortes; deshalb war es zukömmlich, daß es ohne Verletzung der Mutter empfangen würde. 3. Wegen der Würde der menschlichen Natur in Christo: denn da durch sie „die Sünde der Welt hinweggenommen werden sollte“ (Joh. 1, 29.), durfte in ihr keine Sünde sein. Aus dem geschlechtlichen Zusammenleben aber konnte bei der verderbten menschlichen Natur keine menschliche Natur hervorgehen, die nicht angesteckt gewesen wäre von der Erbsünde. Deshalb sagt Augustin (1. de nupt. et conc. 12.): „Allein da war kein geschlechtliches Zusammenleben (in der Ehe zwischen Joseph und Maria); denn ein solches konnte im Fleische der Sünde nicht sich vollziehen ohne jene schamvolle Begierlichkeit, welche aus der Sünde kommt; da ohne Sünde empfangen werden wollte, der ohne Sünde sein sollte.“ 4. Wegen des Zweckes der Menschwerdung. Denn dadurch sollten die Menschen zu Kindern Gottes erhoben werden, „die nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott (nämlich durch die Tugendkraft selber) gezeugt werden“ (Joh. 1.). Und davon sollte das Beispiel die Empfängnis Christi sein. Deshalb schreibt Augustin (de s. Virginitate 6.): „Unser Haupt mußte überaus wunderbarerweise aus einer Jungfrau geboren werden, damit dadurch bezeichnet werde, seine Glieder würden erzeugt werden von der Kirche als einer Jungfrau gemäß der Kraft des heiligen Geistes.“
c) I. Darauf antwortet Beda (sup. Luc. l. c. 7.): „Vater Jesu wird Joseph genannt; nicht als ob Er, wie die Photinianer lästern, wirklich der Vater des Herrn nach dem Fleische wäre, sondern weil Er, um dem guten Rufe Marias nicht zu schaden, als solcher von allen betrachtet wurde.“ „Deshalb heißt es Luk. 3.: „ut putabatur“, wie man meinte.“ Augustin erklärt dazu (2. de conc. Evang. 1.): „Vater Christi wird Joseph genannt in der Weise wie er auch Mann Mariä heißt, weil er ohne geschlechtliche Verbindung, allein kraft der geschlossenen Ehe, Maria und Jesu näher stand als sonst ein Beschützer vor der Welt hätte stehen können. Denn nicht deshalb brauchte man davor zurückzuweichen, Joseph den Vater Christi zu nennen, weil er Ihn nicht gezeugt hatte, da Joseph doch auch Vater demjenigen gewesen wäre, den er zwar nicht gezeugt, aber an Kindesstatt angenommen hätte.“ II. Dazu erklärt Hieronymus: „Obgleich Joseph nicht der Vater Christi des Herrn war, wird doch die Reihe der Stammväter bis zu Joseph geführt: 1. Weil es in der heiligen Schrift nicht Sitte ist, daß Frauen in der Reihe der Stammlisten als Glieder erscheinen; — 2. weil aus ein und demselben Stamme waren Maria und Joseph, wonach gemäß dem Gesetze Joseph veranlaßt war, Maria als aus dem nämlichen Stamme zur Frau zu nehmen.“ Augustin erklärt zudem (1. de nupt. et conc. 11.): „Die Reihe der Stammliste mußte bis zu Joseph geführt werden, damit in jener Ehe dem männlichen Geschlechte als dem voranstehenden kein Unrecht geschähe, da ja doch an der Wahrheit nicht gerüttelt wird, insofern Maria und Joseph beide aus dem Samen David waren.“ III. Darauf antwortet Augustin (23. cont. Faust. 7.): „Er setzt da Weib nach der Redeweise der Hebräer; dieses Wort bedeutet hier nicht den Verlust der Jungfräulichkeit;“ dafür dient das Wort „Frau“. IV. Dieser Einwurf gilt im Bereiche der natürlichen Kräfte, insofern jede natürliche Kraft einen beschränkten Wirkungskreis und somit einen ganz bestimmten Stoff als Gegenstand des Einwirkens hat. Die göttliche Kraft aber ist nicht auf einen bestimmten Stoff beschränkt. Wie also der Herr denersten Menschen aus Erde machen konnte, so konnte der Leib Christi aus der Jungfrau geformt werden ohne männlichen Samen. V. Nach Aristoteles (1. de gener. animal. 2.) ist der männliche Same nicht wie der Stoff, aus dem geformt wird, sondern enthält nur die formende, wirkende Kraft; die Frau allein leiht den Stoff, aus dem geformt wird. Also deshalb fehlte nicht der gebührende Stoff, weil der Same des Mannes fehlte. Wäre jedoch auch der männliche Same der Stoff für die Frucht; so ist es doch offenbar ein Stoff, der nicht in der nämlichen Form bleibt, sondern der geändert wird. Und mag eine natürliche Kraft wohl nur einen gewissen, bestimmten Stoff zu einer bestimmten Form hin verändern können; die göttliche Kraft vermag jeglichen Stoff so zu ändern, daß er jeder beliebigen Form unterstehen kann. Wie sie also die Erde in der Weise geändert hat, daß sie Stoff wurde für den Körper Adams; so konnte sie den Stoff, welchen die Jungfrau enthielt, verändern, daß er geeignet würde für den Leib Christi.
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