Erster Artikel. Es war zukömmlich, daß Christus mit den Menschen verkehrte.
a) Er hätte vielmehr ein einsames Leben führen sollen. Denn: I. Christus mußte sich auch als Gott zeigen. Gott aber kommt es nicht zu, mit den Menschen zu verkehren; denn Dan. 2. heißt es: „Ausgenommen die Götter, deren Sache es nicht ist, mit den Menschen zu verkehren.“ Und Aristoteles sagt (1 Polit. 2.): „Wer einsam lebt, ist ein wildes Tier,“ wenn er das thut, weil er grausam ist; „oder ein Gott,“ wenn er es thut, um die Wahrheit zu betrachten. II. Christus mußte das vollkommenste Leben auf Erden führen. Dies aber ist das beschauliche (vgl. II., II. Kap. 182, Art. 1 u. 2.) und dazu gehört Einsamkeit, nach Osee 2.: „Ich will sie (die Seele) in die Einsamkeit führen und sprechen zu ihrem Herzen.“ III. Das Leben Christi mußte immer sich gleichförmig sein; da nur das Beste Ihm zukam. Bisweilen aber suchte Er die Einsamkeit auf und mied die Volksscharen; weshalb Remigius sagt (sup. Matth.): „Man liest, daß der Herr auf drei Orte sich zurückzog: das Schiff, den Berg, die Wüste; zu einem von diesen Orten nahm Er immer seine Zuflucht, wenn Er die Volksscharen mied.“ Also mußte Er immer in der Einsamkeit leben. Auf der anderen Seite sagt Baruch 3.: „Nachher ist Er auf Erden erschienen und hat mit den Menschen verkehrt.“
b) Ich antworte; Christi Leben mußte dem Zwecke der Menschwerdung entsprechen. Christus kam nun 1. „in die Welt, damit Er Zeugnis gebe der Wahrheit“ (Joh. 18.). Also durfte Er Sich nicht verbergen, sondern mußte in die Öffentlichkeit gehen; und deshalb sagte Er (Luk. 4.): „Auch anderen Städten muß ich ankündigen das Reich Gottes; denn darum bin ich gekommen.“ Er kam 2. in die Welt, „um die Menschen von der Sünde zu befreien,“ nach 1. Tim. 15. Und deshalb, „obgleich der Herr, bleibend an dem nämlichen Orte alle zu Sich ziehen konnte, damit sie seine Predigt hörten, hat Er dies doch nicht gethan, damit Er uns ein Beispiel gebe, gemäß dem wir suchen sollen den der zu Grunde geht, wie der Hirt das verlorene Schaf sucht, wie der Arzt zum kranken geht“ (Chrysost. ad Luc. quia et alius). Er kam 3. in die Welt, damit wir Zutritt haben zum Vater (Röm. 5.). Und deshalb ist Er vertraulich mit uns umgegangen, um Vertrauen uns einzuflößen. Darum sagt Hieronymus zu Matth. 9,10.: „Die Sünder sahen, wie der Zöllner von seinen Sünden zu einem besserenLeben belehrt war und den Ort der Reue gefunden hatte; deshalb verzweifelten auch sie nicht an ihrem Heile.“
c) I. Vermittelst seiner Menschheit wollte Christus seine Gottheit offenbaren; und Er that dies, indem Er predigte, Wunder wirkte, unter den Menschen fromm und tugendhaft lebte. II. Jenes thätige Leben, wonach jemand das, was er betrachtet hat, den anderen lehrt, ist vollkommener, wie das betrachtende beschauliche Leben allein; denn es setzt voraus die überfließende Fülle der Betrachtung (vgl. II., II. I. c.). III. Was Christus that, ist Belehrung für uns. Damit Er also den Predigern das Beispiel gebe, daß sie nicht immer in der Öffentlichkeit verkehren sollen, zog Er sich manchmal in die Einsamkeit zurück; und zwar im besonderen: 1. um körperlich auszuruhen, nach Mark. 6., wo Er zu den Jüngern sagt: „Kommt mit an einen einsamen Ort und ruhet ein wenig aus;“ denn viele kamen und gingen, und sie hatten nicht einmal Zeit zum Essen; — 2. um zu beten, nach Luk. 6.: „Es geschah in jenen Tagen, und Er ging auf den Berg, damit Er bete und Er brachte die Nacht damit zu;“ wozu Ambrosius sagt: „Zu den Geboten der Tugend erzieht Er uns durch sein Beispiel;“ — 3. um die Ehrenbezeigungen der Menschen zu vermeiden, so daß zu Matth. 5. (videns Jesus) Chrysostomus (hom. 15. in Matth.) sagt: „Dadurch daß Er nicht in die Stadt geht oder auf den Markt, um zu beten, erzieht Er uns, wir sollen nichts um der Ehre vor den Menschen willen thun, vom Gewirre der Menschen fernbleiben und am liebsten mit den näheren Freunden sprechen.“
