Zweiter Artikel. Christus mußte auf der Erde kein äußerst strenges Leben führen.
a) Dies hätte Er wohl thun sollen. Denn: I. Wie aus Matth. 3, 4. hervorgeht, führte Johannes ein äußerst strenges Leben, damit Er durch sein Beispiel die Menschen zur Tugend anleite. Also mußte Christus um so mehr ein hartes Leben führen. II. Die Enthaltsamkeit in der Speise gehört zur Tugend der Keuschheit. Denn Osee 3. heißt es: „Sie werden essen und nicht satt werden; sie haben Unkeuschheit getrieben und nicht aufgehört.“ Christus aber hat ein keusches Leben geführt und solches den Jüngern angeraten, nach Matth. 19, 12.: „Es giebt beschnittene, die sich selbst beschneiden um des Himmelreiches willen; wer es fassen kann, fasse es.“ Also mußte Er auch ein äußerst strenges Leben führen. III. Lächerlich scheint es, daß jemand mit einer strengen Lebensweise beginnt und in eine laxere fällt; denn man kann dann sagen (Luk. 14.): „Dieser Mensch fing an zu bauen und konnte nicht vollenden.“ Christus aber hatte angefangen, streng zu leben; denn Er ging in die Wüste und fastete vierzig Tage und vierzig Nächte. Also hätte Er dies fortsetzen sollen. Auf der anderen Seite heißt es Matth. 11.: „Der Menschensohn kam; und Er aß und trank.“
b) Ich antworte, wer mit den Menschen zusammenlebt, thue sehr weise daran, eine deren Lebensweise gleichförmige anzunehmen, nach 1. Kor. 9.: „Allen bin ich Alles geworden.“ Also war es sehr weise, daß Christus in Speise und Trank sich der Gewohnheit der Menschen anbequemte. Deshalb sagt Augustin (16. c. Faust. 31.): „Von Johannes hieß es, er äße und trinke nicht, weil er in Speise und Trank nicht der Gewohnheit der Juden folgte. Im Vergleiche mit ihm also sagte man vom Herrn, Er äße und trinke.“
c) I. Der Herr gab das vollendetste Beispiel in Allem, was zum Heile gehört. Die Enthaltsamkeit von Speise und Trank aber ist nicht zum Heile an und für sich notwendig oder genügend, nach Röm. 14.: „Das Reich Gottes ist nicht Speise und Trank;“ sondern vielmehr, wie Auguftin hinzufügt (2. q. in Evgl. 11.), besteht es „in der Gleichmütigkeit zu ertragen, welche der Mangel nicht ängstigt und der Überfluß nicht stört.“ Beides aber ist lobenswert, daß nämlich jemand, wenn er einsam lebt, Enthaltsamkeit bewahrt in Speise und Trank, und wenn er mit den anderen lebt, sich diesen anbequemt; deshalb hat der Herr Beides gethan. Johannes nun, sagt Chrysostomus (hom. 38. in Matth.), „hat nichts gezeigt wie Tugend und Gerechtigkeit; Christus aber hat noch durch Wunder seine Gottheit bezeugt. Er überließ es also dem Johannes, daß er in außerordentlichem Fasten glänze, während Er selbst den gegenteiligen Weg einschlug und der Einladung der Zöllner folgte, mit ihnen essend und trinkend.“ II. Die anderen Menschen bedürfen der Enthaltsamkeit in Speise und Trank, um die Keuschheit zu bewahren. Christus zügelte in Sich und in den Jüngern das Fleisch durch die Kraft der Gottheit. Deshalb fasteten die Jünger des Johannes; nicht aber die Jünger Christi. Danach sagt Beda (cap. 12. in Marc.) und Ambrosius (ad Luc. 1.): „Johannes trank keinen Wein und nichts Berauschendes, weil diese Enthaltsamkeit in ihm das Verdienst mehrte, in welchem von Natur keine entsprechende Kraft war. Der Herr aber, dessen Natur es entsprach, Fehler zu verzeihen und dem Mangel abzuhelfen; warum sollte Er jene hindern, die Er reiner machen konnte als jene, die fasteten?“ III. Chrysostomus (hom. 13. in Matth.) erwidert: „Damit du sehest, ein wie großes Gut das Fasten sei und wie stark es mache gegen den Teufel, hat Er selber gefastet; nicht als ob Er dessen bedurft hätte, sondern um uns zu unterrichten; — Er ging aber nicht weiter wie Moses und Elias, damit man nicht daran zweifle, Er trüge wahrhaft die menschliche Natur.“ Nach Gregor dem Großen (hom. 16. in Evgl.) hat Er vierzig Tage gefastet, „weil die zehn Gebote durch die vier Evangelien vollendet werden.“ Augustin bemerkt dazu (83 Qq. 81.): „Die Lehre aller Weisheit besteht darin, den Schöpfer und das Geschöpf zu kennen. Schöpfer ist die Dreieinigkeit: Vater, Sohn und heiliger Geist. Die Kreatur ist einerseits unsichtbar, wie die Seele, der die Dreizahl zukommt; denn wir sollen Gott lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus ganzem Geiste; — andererseits ist die Kreatur sichtbar; und dann kommt ihr die Vierzahl zu wegen des Warmen, Feuchten, Kalten und Trockenen, woraus die Körper zusammengesetzt sind. Die Zehnzahl also, welcher die ganze Lehre der Weisheit entspricht, multipliziert mit vier, welcher das Körperliche entspricht, ergiebt die Vierzigzahl; die Zeit sonach, wo wir trauern und seufzen, wird durch die Zahl vierzig angezeigt.“ Daß aber der Herr nach dem Fasten wieder in das gewöhnliche Leben überging, kommt dem Berufe zu, nach welchem das, was man in der Betrachtung gelernt hat, den anderen gelehrt werden soll. Deshalb sagt Bedamit Ambrosius (zu Mark. 2.): „Der Herr hat gefastet, damit du das Gebot beobachtest; Er hat gegessen mit den Sündern, damit du seine Macht anerkennest und Gnade von Ihm erbittest.“
