5. Brief — An Don Alfons Velásquez, Bischof von Osma, in Toledo
Palencia, im Mai 1581
Verschiedene Ratschläge in bezug aus das Gebet.
Ehrwürdigster Vater meiner Seele!
Eine der größten Gnaden, die ich unserem Herrn zu verdanken habe, ist das mir von Seiner Majestät verliehene Verlangen, gehorsam zu sein. In der Übung dieser Tugend finde ich das größte Wohlgefallen und den innigsten Trost, da sie uns der Herr am meisten anempfohlen hat.
Euere Gnaden haben mir unlängst aufgetragen, Sie Gott zu empfehlen. Obwohl mir dies schon immer eine Herzensangelegenheit ist, so verpflichtet mich doch Ihr Auftrag zu noch größerem Eifer. Ich fahre darum fort, für Sie zu beten, ohne auf meine Armseligkeit zu achten, indem ich nur Ihren Auftrag ins Auge fasse. Ich wage von der Güte Gottes zu hoffen, daß Sie erlangen werden, um was ich für Sie beten zu müssen glaubte, sowie auch, daß Sie meinen guten Willen gnädig annehmen, da er ja aus dem Gehorsam entspringt.
Ich stellte da unserem Herrn die Gnaden vor, womit er Sie meines Wissens schon beschenkt hat, die Demut und die Liebe, den großen Seeleneifer und das innige Verlangen, zu seiner Ehre zu wirken. Da ich weiß, worauf Ihr ganzes Streben gerichtet ist, so bat ich unseren Herrn um Vermehrung und Vervollkommnung all dieser Tugenden, damit Sie zu jener Vollkommenheit gelangen, die der erhabene Stand, in den Sie Gott gesetzt hat, von Ihnen verlangt. Da ward mir gezeigt, daß Ihnen das für diese Tugenden unumgänglich notwendige
Fundament fehlt; und ist dieses nicht vorhanden, dann ist das Tugendgebäude nicht festgegründet und fällt zusammen. Es fehlt Ihnen der Gebetsgeist, jene brennende Lampe, die man die Leuchte des Glaubens nennt. Es fehlt Ihnen auch die Ausdauer im Gebete und die notwendige Kraft, um das zu entfernen, was der Vereinigung, d. i. der Salbung des Heiligen Geistes, hinderlich ist. Von diesem Mangel kommt alle Trockenheit und alle Zerstreuung der Seele.
Sie müssen mit Geduld den Andrang der zerstreuenden Gedanken und die lästigen Vorstellungen der Einbildungskraft sowie auch das Ungestüm der natürlichen Regungen ertragen, von denen die einen aus der Trockenheit oder der Zerstreuung der Seele, die anderen aus dem Mangel an der Unterwürfigkeit des Leibes unter den Geist entstehen. Wenn wir auch meinen, wir seien frei von Unvollkommenheiten, so werden wir doch dieselben klar erkennen, sobald Gott die Augen unserer Seele öffnet, wie er es beim Gebete zu tun pflegt.
Über die Art und Weise, wie man sich beim Beginn des Gebetes zu verhalten hat, wurde ich folgendermaßen belehrt: Nachdem Sie das Zeichen des Kreuzes gemacht haben, klagen Sie sich aller Sünden an, die Sie seit der letzten Beichte begangen haben! Reißen Sie sich los von allen Dingen, als wenn Sie jetzt in dieser Stunde sterben müßten! Erwecken Sie dann wahre Reue über die begangenen Sünden und beten Sie zur Buße dafür den Psalm Miserere! Hierauf können Sie zum Herrn sagen: »In deine Schule, o Herr, komme ich, um zu lernen und nicht um zu lehren. Ich will reden zu deiner Majestät, obwohl ich Staub und Asche und ein elender Erdenwurm bin.« Dann können Sie noch sagen: »Zeige, o Herr, an mir deine Macht, obwohl ich eine armselige Ameise bin!« Dann opfern Sie sich Gott zum beständigen Brandopfer auf! Stellen Sie sich vor die Augen des Geistes oder vor die leiblichen Augen Jesus Christus, den Gekreuzigten, und dann betrachten und erwägen Sie in der Ruhe und Liebe Ihrer Seele alle Einzelheiten!
Zuerst betrachten Sie die göttliche Natur des ewigen Wortes vom Vater in ihrer Vereinigung mit der menschlichen Natur, die aus sich nicht bestehen könnte, wenn nicht Gott ihr das Dasein gegeben hätte! Erwägen Sie jene unaussprechliche Liebe und jene tiefe Selbsterniedrigung, die einen Gott veranlaßten, sich in solcher Weise selbst zu entäußern, daß er Mensch wurde, um den Menschen der Gottheit teilhaftig zu machen! Erwägen Sie ferner jene Herrlichkeit und unendliche Freigebigkeit, deren Gott sich bedient, um den Menschen seine Macht zu offenbaren und sie teilhaftig zu machen seiner Glorie, seiner Macht und Erhabenheit!
Versetzt Sie diese Erwägung in Staunen, das ja die Seele gewöhnlich erfaßt, so halten Sie sich dabei auf! Denn Sie können nicht genug jene Erhabenheit betrachten, die sich so sehr erniedrigt, und jene Niedrigkeit, die so hoch erhoben wird.
Beim Anblick des mit Dornen gekrönten Hauptes können Sie an die Unwissenheit und Blindheit unseres Geistes denken; bitten Sie unseren Herrn, er wolle in seiner Güte Ihnen die Augen der Seele öffnen und Ihren Verstand mit dem Lichte des Glaubens erleuchten, damit Sie in Demut erkennen, was Gott ist und was wir sind! Diese demütige Erkenntnis wird uns dazu verhelfen, seine Gebote und Räte zu beobachten und in allem seinen Willen zu tun. Beim Anblick der angenagelten Hände erwägen Sie seine Freigebigkeit und unsere Dürftigkeit, indem Sie seine Gaben mit dem vergleichen, was wir ihm geben!
Beim Anblick seiner durchstochenen Füße können Sie den Liebeseifer betrachten, mit dem er uns sucht, und die Trägheit, mit der wir nach ihm verlangen. Betrachten Sie ferner sein geöffnetes Herz! Da offenbart er uns sein Herz und damit seine unendliche Liebe, die er zu uns getragen hat, da nach seinem Willen dieses Herz für uns ein Nestchen und eine Zufluchtsstätte sein und als Pforte dienen soll, durch die wir in der Stunde der uns überflutenden Versuchungen und Trübsale in diese Arche eintreten können. Bitten Sie ihn, er möge, nachdem er seine Seite zum Zeichen seiner Liebe zu uns öffnen ließ, auch bewirken, daß unsere Seite sich öffne, damit wir unser Herz vor ihm aufdecken, unsere Nöten ihm offenbaren und so Hilfe und Heilung zu erlangen vermögen!
Euere Gnaden müssen sich mit voller Abhängigkeit und Unterwürfigkeit sowie mit dem Vorsatz, den Weg zu wandeln, den Gott Sie führt, zum Gebete begeben und sich vollständig seiner Majestät anvertrauen. Vernehmen Sie mit Aufmerksamkeit die Unterweisung, die der Herr Ihnen geben wird, mag er Ihnen nun den Rücken zuwenden oder Ihnen sein Antlitz zeigen, d. h. mag er Ihnen das Tor verschließen und Sie draußen stehen lassen, oder Sie bei der Hand nehmen
und in das Innere seines Palastes führen! Ertragen Sie alles mit Gleichmut, und wenn er Ihnen Zurechtweisungen erteilt, so betrachten Sie sein Urteil als gerecht und billig und demütigen Sie sich unter dasselbe! Verleiht er Ihnen Tröstungen, so halten Sie sich ihrer für unwürdig, und lobpreisen Sie seine Güte, die ihn veranlaßte, sich den Menschen zu offenbaren und sie seiner Macht und Güte teilhaftig zu machen! Man fügt Gott das größte Unrecht zu, wenn man an seiner Bereitwilligkeit in Erteilung von Gnaden zweifelt; denn er will mehr seine Allmacht durch Offenbarung seiner Freigebigkeit als durch Kundgebung seiner Gerechtigkeit erglänzen lassen. Wäre es schon eine schreckliche Gotteslästerung, seine Macht in der Bestrafung der ihm zugefügten Beleidigungen zu leugnen, so würde diese Lästerung noch größer sein, wenn man ihm jene Macht abspräche, die er in besonderer Weise offenbaren will, nämlich seine Macht in Spendung von Gnaden. Würde man seinen Verstand im Gebete nicht unterwerfen, so hieße das nichts anderes als Gott belehren und nicht von ihm belehrt werden wollen; und doch ist es gerade das letztere, was man im Gebete zunächst anstreben muß. Wer immer dies außer acht läßt, der handelt gegen den Zweck und die Absicht, die man beim Gebete verfolgen soll.
Bekennt man sich als Staub und Asche, so muß man sich auch als Staub und Asche vor ihm benehmen, da diese beiden Dinge ihrer Natur nach auf der Erde liegen. Es wäre aber gegen die Natur des Staubes, wenn er sich nicht so hoch erheben würde, als der Wind ihn bläst; wird er auf diese Weise erhoben, so steigt er aufwärts, so lange der Wind ihn trägt und hält; er fällt wieder auf die Erde zurück, wenn der Wind zu wehen aufhört. So muß auch die Seele, die sich mit Staub und Asche vergleicht, die Eigenschaften dieser Dinge an sich haben. Sie muß beim Gebet in aufrichtiger Selbsterkenntnis sich verdemütigen; und wenn das sanfte Wehen des Heiligen Geistes sie erhebt, zum Herzen Gottes emporträgt und dort festhält, um ihr die Güte Gottes zu zeigen und seine Macht zu offenbaren, so muß sie die Gnade mit Danksagung zu genießen wissen; denn da erzeigt ihr der Herr seine innigste Liebe; er drückt sie als seine geliebte Braut an sein Herz und hat als ihr Bräutigam seine Wonne an ihr.
Es wäre gewiß ein sehr schlimmer Streich und ein Zeichen von Unverschämtheit, wenn die königliche Braut, die der König aus niedrigem Stand erwählt und vor allen anderen ausgezeichnet hat, an dem Tage, an dem der König es verlangt, nicht in seinem Palaste und an seinem Hofe erscheinen wollte, wie die Königin Vasthi es getan hat; dies faßte der König, wie die Heilige Schrift erzählt, sehr übel auf. Ebenso pflegt unser Herr mit den Seelen zu verfahren, die sich von ihm zurückziehen; Seine Majestät hat dies mit den Worten zu erkennen gegeben: Meine Wonne ist es, bei den Menschenkindern zu sein. Hielten sich alle Seelen von Gott ferne, so würden sie ihn dadurch seiner Wonne berauben; selbst der Vorwand der Demut würde nicht von Unklugheit, Unartigkeit und einer gewissen Art von Verachtung entschuldigen, wenn man von der Hand des Herrn nicht annähme, was er anbietet. Man würde es als Torheit erklären, wenn ein Mensch das, was zur Erhaltung seines Lebens notwendig ist, abweisen wollte, nachdem es ihm angeboten würde.
Ich habe ferner gesagt, Sie müßten sich verhalten wie ein Erdenwurm. Dem Wurme ist es eigen, mit dem Bauche stets auf der Erde zu liegen, in tiefster Erniedrigung dem Schöpfer und den Geschöpfen unterworfen zu sein und sich nicht zu erheben, ob er auch mit Füßen getreten oder von den Vögeln angepickt wird. So wie der Wurm wird auch der Betende gleichsam mit Füßen getreten, wenn sich zur Zeit des Gebetes das Fleisch wider den Geist erhebt und ihm unter tausend trügerischen Vorstellungen und Beunruhigungen eingibt, er könnte auf andere Weise noch mehr Nutzen schaffen, z. B. wenn er dem Nächsten in seinen Nöten zu Hilfe käme, sich auf die Predigt vorbereiten oder seinen Berufspflichten nachkommen würde. Auf solche Einwendungen kann man antworten: Die eigene Not ist das Wichtigste, und ihr abzuhelfen die erste Pflicht; die vollkommene Liebe fängt mit sich selbst an; der Hirte, der seinen Dienst gut versehen will, muß sich auf einen erhabenen Standpunkt stellen, von dem aus er seine ganze Herde überschauen und sogleich wahrnehmen kann, wenn Raubtiere sie anfallen. Dieser erhabene Standpunkt aber ist die Pflege des innerlichen Gebetes.
Der Betende vergleicht sich aber auch darum mit einem Erdenwurm, weil dieser, wenn ihn auch die Vögel des Himmels anpicken, sich doch nicht von der Erde erhebt und in seinem Gehorsam und seiner Unterwürfigkeit unter dem Schöpfer verharrt, von dem er die Bestimmung erhalten, an dem Orte zu bleiben, an den er ihn gesetzt hat. So muß auch der Mensch standhaft an dem Orte verweilen, wohin der Herr ihn versetzt hat, und das ist der Ort des Gebetes, wenn ihn auch die Vögel des Himmels, d. i. die bösen Geister, mit lästigen Vorstellungen und Gedanken und allerlei Beunruhigungen zur Zeit des Gebetes anspielen und quälen, seinen Geist aufregen und seine Aufmerksamkeit bald dahin, bald dorthin lenken, wobei auch das Herz dem umherschweifenden Verstande folgt; es ist keine geringe Frucht des Gebetes, all diese Belästigungen und Beunruhigungen mit Geduld ertragen zu können. Das heißt sich in der Tat zum Brandopfer darbringen, weil dadurch das ganze Opfer vom Feuer der Versuchung verzehrt wird, ohne daß davon etwas übrigbleibt. Gibt man sich so ganz rückhaltlos Gott hin, so ist dies kein Zeitverlust, sondern vielmehr der größte Gewinn; denn da arbeitet man ohne alles Eigeninteresse ganz und allein zur Ehre und Verherrlichung unseres Herrn. Sie meinen vielleicht für den Augenblick, es sei dies verlorene Mühe, allein Sie täuschen sich. Die Seele gleicht da den Kindern, die aus den Gütern ihres Vaters arbeiten; sie bekommen zwar am Abend keinen Taglohn, aber am Ende des Jahres erhalten sie allen Lohn auf einmal zusammen.
So ein Gebet hat große Ähnlichkeit mit dem Gebete unseres Herrn Jesu Christi im Ölgarten, wo er flehte, es möchte die Bitterkeit und schwere Last, die die Überwindung der menschlichen Natur mit sich bringt, von ihm genommen werden. Er bat nicht, von den Leiden, sondern nur von dem Widerstreben befreit zu werden, das die menschliche Natur dagegen erfaßte. In seiner Bitte für den niederen Teil der Menschennatur flehte Christus, es möge die Kraft des Geistes sich dem Fleische mitteilen, so daß auch dieses sich bereitwillig zeige zur Übernahme der Leiden. Es wurde ihm zu verstehen gegeben, daß dies nicht zulässig sei, sondern daß er den Kelch trinken, d. h. das Widerstreben und die Schwäche des Fleisches überwinden müsse. Daraus erkennen wir, daß Christus, obwohl wahrer Gott, doch auch wahrer Mensch war, weil er die Leiden ebenso fühlte wie die anderen Menschen.
Wer der Übung des innerlichen Gebetes sich widmet, muß emsig sein wie die Ameise. Diese ermüdet nicht, während des Sommers und des schönen Wetters zu arbeiten, um Lebensmittel zu haben für die Zeit des Winters und der Regengüsse; sie sammelt Vorrat zu ihrem Unterhalte, um nicht Hungers zu sterben wie die anderen Tiere, die keine Vorsorge treffen; auf gleiche Weise muß auch der Mensch sich vorbereiten für die gewaltigen Fluten des Todes und des Gerichtes.
Will man sich zum Gebete begeben, so muß man mit dem hochzeitlichen Kleide, mit dem Festgewande erscheinen, nämlich mit jenem, das man an den Ruhetagen und nicht an den Arbeitstagen trägt. An allen Hauptfesten sehen alle, daß sie im schönsten Festschmuck erscheinen; und um eine Festlichkeit recht feierlich zu begehen, macht man gerne große Ausgaben und betrachtet sie als gut angewendet, wenn alles nach Wunsch abgelaufen ist. Ein großer Gelehrter und ein feiner Hofmann kann man nur werden, wenn man es sich viel Geld und Mühe kosten läßt. Ebenso kann einer nur dann ein himmlischer Hofherr werden und sich übernatürliche Wissenschaft erwerben, wenn er viel Zeit darauf verwendet und geistige Anstrengung nicht scheut.
Hiermit will ich beschließen, was ich Euerer Gnaden sagen wollte. Ich bitte um Vergebung für die Anmaßung, womit ich Ihnen diese meine Gedanken vorgetragen habe. Wenn dieses Schriftstück auch voll von Fehlern und Ungeschicklichkeiten ist, so fehlt mir doch der Eifer nicht, der mich in Ihrem Dienste beseelen muß, da ich ja eines Ihrer wahren Schäflein bin. Ich empfehle mich in Ihr heiliges Gebet. Unser Herr erhalte Euere Gnaden und verleihe Ihnen einen großen Zuwachs an Gnade! Amen.
Euerer Gnaden unwürdige Dienerin und Untergebene
Theresia von Jesu
