3.
Denk dir also, o Mensch, die sichtbare Welt nicht anfangslos, und wenn die Körper am Himmel im Kreise sich drehen, des Kreises Anfang aber unserem Wahrnehmungsvermögen nicht leicht erkenntlich ist, so halte doch die Natur der kreisenden Körper nicht für anfangslos! Dieser Kreis, eine ebene, von nur einer Linie umschriebene Figur, verschließt sich zwar unserer Erkenntnis, und wir vermögen nicht ausfindig zu machen, wo er begonnen und wo er geschlossen; gleichwohl dürfen wir ihn nicht deshalb schon für anfangslos halten. Im Gegenteil: Wenn er auch unserer Erkenntnis sich verschließt, in Wahrheit ist er jedenfalls von einem ausgegangen, der ihn von einem Mittelpunkte aus in einem gewissen Abstande umschrieben hat. So darfst du auch nicht deshalb, weil die im Kreise sich bewegenden Körper auf ihre eigene Bahn einlenken - eben wegen ihrer gleichmäßigen, ununterbrochen fortlaufenden Bewegung - auf den Irrtum von einer anfangs- und endlosen Welt1verfallen. „Denn die Gestalt dieser Welt vergeht2”, und „Himmel und Erde werden vergehen3”. Eine Ankündigung der Lehrsätze vom Ende und der Veränderung der Welt ist also das, was hier kurz in der Einleitung des göttlich inspirierten Unterrichtes gelehrt wird: „Im Anfange schuf Gott.” Alles, was mit der Zeit begonnen hat, muß ganz notwendig auch mit der Zeit vergehen. Hat etwas einen zeitlichen Anfang, dann zweifle S. 13 nicht an seinem Ende! Die geometrischen und mathematischen Berechnungen, die Untersuchungen über die festen Körper und die vielgepriesene Astronomie, die vielgeschäftige Zeitvergeudung, wohin führen sie denn, wenn doch die, welche sich damit abgaben, auf den Gedanken kamen, diese sichtbare Welt sei gleichewig mit Gott, dem Schöpfer des Universums, und der begrenzten, körperlich-materiellen Welt dieselbe Ehre erwiesen wie der unbegreiflichen und unsichtbaren Natur, und nicht so viel einzusehen vermochten, daß auch das Ganze von dem, dessen Teile einer Vernichtung und Veränderung unterliegen, notwendig einmal dasselbe Schicksal erleiden muß wie seine Teile? Nein, so weit „trieben sie die Eitelkeit in ihren Gedanken, und ward verfinstert ihr unverständiges Herz, und wurden zu Toren, indes sie sich für Weise ausgaben4”, daß die einen es offen aussprachen, der Himmel existiere von Ewigkeit her mit Gott, und die andern erklärten, der Himmel sei Gott, ohne Anfang und ohne Ende, und die Ursache für die Gestaltung der Einzeldinge5.
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Wie außer den Pythagoreern namentlich Plato und Aristoteles (de coelo I,5) ↩
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1 Kor 7,31 ↩
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Mt 24,35 ↩
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Röm 1,21.22 ↩
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Kleanthes von Assos, ein Schüler Zenons (✝ ca. 764 v. Chr.), undChrysipp vonTarsus (✝ ca. 212 v. Chr.) bekannten sich nach Ciceros Angaben (de natura deorum 1, 14.15) zu dieser Anschauung. ↩