4.
Doch es hat wenig Zweck, mich bei Dingen aufzuhalten, die vergessen und vergeben sind, und eine Entschuldigung für eine Verschuldung zu suchen, für welche sie selbst öffentlich Buße getan hat. Was man kaum für möglich gehalten hätte, ist eingetreten. Nach dem Tode ihres zweiten Mannes ging sie in sich, und zu einer Zeit, wo leichtsinnige Witwen, die das Joch der Knechtschaft abgelegt haben, sich freier bewegen, die Bäder besuchen, auf den Straßen herumschweifen und mit koketten Blicken um sich werfen, zog sie ein Bußgewand an, um öffentlich ihren Fehler einzugestehen. Vor den Blicken der ganzen Stadt Rom stellte sie sich am Tage vor Ostern in der Basilika des Lateranus, der durch das Schwert des Kaisers niedergemacht worden war1 , in der Reihe der Büßenden auf. Der Bischof, die Priester und das ganze Volk weinten mit ihr, wie sie mit aufgelöstem Haar, bleichem Antlitz und schmucklosen Händen ihren Nacken demütig beugte. Welche Sünden sollten durch solche Tränen nicht abgewaschen werden? Welche veraltete Flecken sollten durch eine solche tiefe Reue nicht beseitigt werden? Petrus hat die dreifache Verleugnung durch ein dreifaches Bekenntnis wieder gut gemacht2 . Den Götzendienst des Aaron und die Anfertigung des goldenen Kalbes hat des Bruders Fürbitte getilgt3 . Siebentägiges Fasten hat den Mord samt dem Ehebruch Davids, eines sonst so heiligen und milden Mannes, S. 170gesühnt4 . Er lag auf der Erde, wälzte sich in der Asche, und die königliche Würde ganz vergessend suchte er Licht in der Finsternis. Er dachte nur an den, welchen er beleidigt hatte, und mit tränenerstickter Stimme sprach er: „Gegen Dich allein habe ich gesündigt und Böses getan vor Dir5 . Gib mir freudenreiche Rettung durch Dich und mit vorzüglichem Geiste stärke mich“6 . So kam es, daß er, der mich früher durch seine Tugenden gelehrt hatte, zu stehen ohne zu fallen7 , mir jetzt zeigte, wie man sich nach dem Falle wieder erhebt. Unter den Königen finden wir kaum einen, der so gottlos war wie Achab, so daß die Schrift von ihm sagte: „Kein anderer war so wie Achab, der verkauft worden war, um Böses zu tun vor dem Herrn“8 . Als ihn wegen Naboths Ermordung des Elias Tadel getroffen und er den Zorn des Herrn erfahren hatte aus den Worten des Propheten: „Du hast getötet und obendrein [fremdes Eigentum] in Besitz genommen, deshalb will ich Unglück über dich bringen und deine Nachkommen niedermähen“ u.s.w.9 , da zerriß er seine Kleider, umgab sich mit einem härenen Gewände, fastete in Büßertracht und zog gesenkten Hauptes einher10 . Gleich erging das Wort des Herrn an Elias, den Thesbiter: „Siehst du nicht, daß Achab sich vor mir gedemütigt hat? Weil er sich gedemütigt hat, soll das Unglück nicht in seinen Tagen eintreten“11 . O glückliche Buße, die Gottes Augen auf sich zog, die das scharfe Urteil des Herrn nach abgelegtem Schuldbekenntnis milderte. Ähnlich lesen wir von Manasses in den Paralipomena12 , von Ninive im Buche der Propheten13 und vom Zöllner im Evangelium14 . Der erste S. 171von ihnen hat zum Lohne nicht nur Verzeihung, sondern auch seine Herrschaft wiedererlangt; Ninive brach den bevorstehenden Zornesausbruch Gottes; der dritte schlug mit Fäusten an seine Brust und wagte nicht, die Augen gegen Himmel zu erheben. Und nach dem demütigen Bekenntnis seiner Sünden ging er viel gerechtfertigter nach Hause als der Pharisäer, der sich seiner Tugenden gerühmt hatte. Doch hier ist nicht der Ort, die Bußgesinnung zu verherrlichen und, wie wenn ich gegen einen Montanus oder Novatus15 schriebe, zu verkünden, sie sei ein Gott wohlgefälliges Opfer16 . „Ein Opfer in den Augen Gottes ist ein zerknirschter Geist“17 , „Ich will lieber die Bekehrung des Sünders als seinen Tod“18 , „Erhebe dich, erhebe dich, Jerusalem“19 , und ähnlich lauten manche andere Aussprüche, welche der Propheten Posaunen erschallen lassen.
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Tac. Annal. XV, 60. ↩
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Joh. 21, 15 f. ↩
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Exod. 32. ↩
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2 Sam. 11 und 12. ↩
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Ps. 50, 6. ↩
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Ps. 50, 14. ↩
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Vgl. 1 Kor. 10, 12. ↩
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1 Kön. 21, 25. ↩
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2 Kön. 21, 19. 21. ↩
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2 Kön. 21, 27. ↩
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2 Kön. 21, 28 f. ↩
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2 Chron. 33, 1-20. ↩
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Jon. 8 ↩
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Luk. 18, 13 f. ↩
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Die Montanisten und später auch die Novatianer [benannt nach Novatus aus Karthago und Novatian aus Rom] wollten eine rigoristische Bußdisziplin in die Kirche einführen. Es sollten die schweren Sünder für immer aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen bleiben. ↩
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Num. 5, 8. ↩
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Ps. 50, 19. ↩
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Ezech. 18, 23. ↩
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Is. 6O, 1. ↩