1.
Der Priester Dionysius an seinen Mitpriester Timotheus
Nun, Du Seliger, will ich mich nach den Theologischen Grundlinien an die Erklärung der göttlichen Namen begeben. Doch auch jetzt soll uns das heilige Gesetz des Wortes Gottes vor Augen stehen, damit wir die Wahrheit dessen, was von Gott gesagt wird, nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit zu zeigen suchen, sondern im Erweis der Kraft, die der Geist den Theologen eingehaucht hat und die uns mit unaussprechlichen und unbekannten Dingen auf unaussprechliche und unbekannte Weise verbindet in einer Vereinigung, die alle Kraft und alles Vermögen unseres schließenden Denkens oder geistigen Verstehens übersteigt. Allgemein also darf man es nicht wagen, über die überwesentliche und verborgene Gottheit etwas zu sagen oder zu denken, was uns nicht in der Heiligen Schrift von Gott offenbart ist. Denn die Unerkennbarkeit ihrer Übernatur, die über alle Vernunft (λόγος), allen Geist (νοῦς) und alles Wesen (οὐσία) ist – ihr selbst müssen wir das übernatürliche Wissen zuschreiben: Soweit sollen wir nach dem unzugänglichen Licht streben, soweit der Strahl der göttlichen Worte sich in uns herabläßt, wenn wir uns mit der dem Göttlichen gebührenden Besonnenheit und Ehrfurcht zurückhalten. Wenn wir nämlich der durchaus weisen und wahrhaftigen Gotteslehre glauben dürfen, so offenbart sich das Göttliche und wird erschaut nach dem Maß der Fassungskraft der einzelnen Geister, da die höchste Güte Gottes, in heilsamer Gerechtigkeit, den abgemessenen Dingen ihre Unermeßlichkeit, weil sie unfaßbar ist, in wahrhaft göttlicher Weise anmißt. Denn wie das Geistige durch das Sinnenfällige nicht greifbar und nicht sichtbar wird und das Einfache und Unbildliche nicht in Bildwerken, die Formlosigkeit des Unberührbaren und Ungestalteten nicht durch das in Körpergestalten Geformte, im selben Sinne ist die überwesentliche Unendlichkeit über alle Wesen und über alle Geister die übergeistige Einheit und unerforschlich für alles Forschen der Vernunft das übervernünftige Eine und unaussprechlich für jedes Wort das Gute über alles Wort: die alle Einheit wirkende Einheit, das überwesentliche Wesen, der unverständliche Verstand, das unaussprechliche Wort, die Unsagbarkeit, Undenkbarkeit und Unnennbarkeit, die nichts vom Seienden ist (nichts von dem, was ist, μηδὲν τῶν ὄντων): Die für alles die Ursache des Seins ist, selbst aber nicht ist, da sie über alles Seiende hinausliegt, wie sie selbst es von sich selbst in entscheidender, auf Erkenntnis gegründeter Weise aussagen könnte.