1. Einleitung1
S. 15 A. Dempf zeigt in seiner Einleitung zur deutschen Übersetzung der „Summe wider die Heiden“ des heiligen Thomas von Aquin [Leipzig 1935], daß es in der menschlichen Geistesgeschichte einen ewigen Irrtum gibt, den Naturalismus und Spiritualismus der Innerweltlichkeit, die nicht in ein Jenseits der Welt hinübergelangt, sondern auch noch das Jenseits, auch noch Gott in die Weit, ihr Werden und Vergehen verflochten sein läßt. Diesem ewigen Irrtum steht die ewige Wahrheit von der Transzendenz Gottes gegenüber. Mit ihr macht wohl kaum eine Religion so ernst wie das Christentum. So sehr es um das Innesein Gottes in der Welt weiß, so entschieden lehrt es das „Ganz-anders-sein“ Gottes. Gott ist mit keiner Faser seines Seins in das Wesen und Schicksal der Welt verwickelt, wenngleich Wesen und Schicksal der Welt von ihm Dasein und Gestalt empfangen. Die Weltüberlegenheit Gottes erhält ihren klarsten Ausdruck in dem Glauben an die Dreipersönlichkeit Gottes. Da wird offenbar, daß Gott die in sich ruhende, keiner außergöttlichen Wirklichkeit bedürftige, selige Fülle des Lebens ist, daß in Gott ein lebendiger Austausch des Lebens stattfindet, daß er nicht der große Einsame ist, der uns um die Seligkeit der Gemeinschaft beneiden muß, sondern der in beglückendster Gemeinschaft Lebende. Von ihm fließt Leben und Seligkeit allen zu, die Leben und Seligkeit besitzen. Der dreieinige Gott ist der Urgrund alles Außergöttlichen und der Glaube an ihn der Urkeim alles Selbst- und Weltverständnisses. Das ist für das christliche Bewußtsein eine unbestreitbare Tatsache. Ebenso unbestreitbar ist freilich die andere Tatsache, daß die Wirklichkeit des dreieinigen Gottes in einer Zeit, die eifrig nach dem unmittelbaren Nutzwert einer Wahrheit fragte, allzu S. 16 stark an den Rand des religiösen Bewußtseins und Lebens gedrängt wurde. Ein Blick in das religiöse Schrifttum der vergangenen Jahrzehnte zeigt uns das mit verräterischer Deutlichkeit.
Das christliche Altertum und Mittelalter atmete in der Luft des dreieinigen Gottes. Augustinus, um nur eines der bedeutendsten Beispiele anzuführen, predigte unermüdlich über die Dreieinigkeit, die nicht bloß eine Idee oder ein Begriff ist — etwa der christliche Gottesbegriff, neben dem es auch legitime andere Gottesbegriffe gäbe —, sondern eine Wirklichkeit, und zwar die einzige göttliche Wirklichkeit, die es gibt. Longhaye S. J. kann in seinem Werke; „Die Predigt. Meister und Gesetze“ [Wiesbaden 1935] ein ausführliches Beispiel einer volkstümlichen Trinitätserklärung des heiligen Augustinus bringen. Wenn die Wirklichkeit des dreieinigen Gottes Anfang und Ende des christlichen Glaubens und Lebens ist, dann kann man an der Kraft, mit der diese Grundwahrheit dem gläubigen und christlichen Bewußtsein gegenwärtig ist, die Energie des christlichen Bewußtseins selbst feststellen. Es wird notwendig sein, wieder zu der ungebrochenen Fülle des altchristlichen Glaubensbewußtseins und religiösen Lebens zurückzusuchen. Eine solche Forderung könnte nur ablehnen, wer sorgfältig zwischen praktischen und theoretischen Wahrheiten unterscheidet und die letzteren für unpraktisch hält. In Wirklichkeit gibt es nichts Praktischeres als Gedanken, die Abbilder geistiger Wirklichkeiten sind und wieder zu Wirklichkeiten drängen, um so wirksamer, je tiefer die Wirklichkeit ist, aus der sie kommen, und nichts Unpraktischeres als eine Praxis, die nicht aus den letzten Tiefen des Seins herauskommt und daher lahm und leer wird, um so schneller, je näher gegen die Oberfläche zu ihr Quell liegt. Der Gang der Geschichte und die Erfahrung des menschlichen Herzens machen es den Sehenden leicht, zu dieser Einsicht zu kommen. Nur aus der Größe, Fülle und Weite kann das menschliche Herz leben, nicht aus der Begrenztheit, Kleinheit und Enge.
Das vorliegende Werk will dazu verhelfen, Gott, die S. 17 dreieinige Wirklichkeit, wieder in die Mitte des Glaubensbewußtseins und des religiösen Lebens zu stellen, in die sie gehört. Die Übertragung des augustinischen Trinitätswerkes in die deutsche Sprache, die hier erstmalig erfolgt, will nicht nur einem geschichtlichen, sondern einem unmittelbar religiösen Anliegen dienen. Freilich auch das geschichtliche Interesse, das dies Werk verdient, ist wahrhaftig groß. Denn in ihm wohnt ein großer Teil dessen, was vom heiligen Augustinus unsterblich ist. Was er als Psychologe, Erkenntnistheoretiker, Metaphysiker, Theologe ausgedacht und der Folgezeit als unverlierbaren Besitz vermacht hat, ist nicht zum geringsten hier angesammelt und aufbewahrt. Insbesondere ist es das größte Denkmal, das sich der christliche Glaube und das aus dem Glauben fließende denkerische Bemühen um das unsagbarste christliche Geheimnis setzte. Dies allein würde es rechtfertigen, das Werk Augustins einem deutschen Leserkreis zugänglich zu machen. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu. Es geht nicht um bloß wissenschaftliches Erkennen, sondern um liebendes Eindringen in den Abgrund Gottes, um heiligende Einsichten. Augustinus versucht hier mit Gott, tiefer in Gott hineinzuschauen und hineinzugelangen, nicht spitzfindige Fragen zu stellen und zu lösen, sondern in den Bereich des göttlichen Lichtes und der göttlichen Kraft einzutreten, um von daher den Geist zu erhellen und das Herz zu erwärmen.
In dem Nachsinnen des Theologen und in der Seelsorge des Bischofs Augustinus nimmt die dreieinige Wirklichkeit Gottes einen breiten Raum ein. Wie sehr sein Denken und Tun von dem Glauben an sie gestaltet wurde, zeigt die Tatsache, daß über alle seine Werke hin Ausführungen über Gott den Dreieinigen verstreut sind. Wir finden sie vor allem in den Predigten, in den Homilien über das Johannesevangelium, in den Briefen, besonders in Brief 11, 12, 120, 170, 238, in der Katechese zum Symbolum, in der Psalmenerklärung, im Enchiridion. Gegen den arianischen Irrtum, mit dem die Hauptkämpfe zur Zeit Augustins ausgefochten waren, der jedoch mit den andringenden germanischen Völkerschaften S. 18 nochmal unmittelbar in den Gesichtskreis des Kirchenvaters trat, schrieb er drei Werke: Contra sermonem Arianorum liber unus. Collatio cum Maximino Arianorum episcopo. Contra Maximinum haereticum Arianorum episcopum libri duo.
Sein trinitarisches Hauptwerk sind die fünfzehn Bücher über die Dreieinigkeit. Augustinus nahm es mit der Abfassung gerade dieses Werkes nicht leicht. Er ist sich bewußt, daß nirgends die Mühen des Suchens größer sind, die Gefahren des Irrens näher liegen, daß freilich auch nirgends die Frucht des Findens beglückender ist. Das Buch entstand nicht in einem Zuge, Augustinus arbeitete daran von 398 bis 417. Als Jüngling hat er, wie er im Briefe 174 sagt, das Werk begonnen, als alter Mann es vollendet. In einem um 410 an Consentius geschriebenen Briefe erwähnt er, daß er an dem Werke über die Dreieinigkeit arbeite, es aber bei der Schwierigkeit des Gegenstandes noch nicht vollenden konnte. In einem um 412 geschriebenen Briefe an verschiedene Adressaten sucht er dem Drängen der Freunde, welche das Erscheinen seiner Bücher über die Dreieinigkeit kaum mehr erwarten können, mit dem Hinweis auf die Wichtigkeit einer gründlichen Darstellung Einhalt zu tun. An Evodius schreibt er 414, er habe das Werk noch nicht herausgegeben. 415 teilt er ihm mit, daß er das Werk, an dem er schon lange arbeite, zurückgestellt habe. Gegen 416 schreibt er dem Bischof Aurelius von Karthago, daß das Werk vor Vollendung des 12. Buches ohne sein Vorwissen von anderen veröffentlicht worden sei. Augustinus war darüber entrüstet. Er hätte gewünscht, daß das Werk als Ganzes publiziert worden wäre, damit nicht durch Auseinanderreißen eng zusammengehöriger Teile Mißverständnisse entstünden. Nach der vorzeitigen Veröffentlichung wollte er es eigentlich nicht mehr vollenden, sondern die einschlägigen Fragen gelegentlich in anderen Schriften behandeln. Erst das Drängen seiner Freunde, namentlich des Adressaten Aurelius, konnte ihn von diesem Entschlusse wieder abbringen. Doch legt er großes Gewicht darauf, daß dieser Brief dem ganzen Werke vorangestellt werde. Es ist der S. 19 schon erwähnte Brief 174 [in der Sammlung bei Migne Band 33; CSEL 34, 3]. Als er an seinem Lebensabend eine Rückschau hält auf sein literarisches Werk, spricht er von diesem Geschick seines Trinitätswerkes ebenfalls [Retractationum liber II c. 15]. Im Jahre 429 gibt Augustinus in der Schrift „De praedestinatione sanctorum“ der Hoffnung Ausdruck, daß die 15 Bücher über die Dreieinigkeit schon zu Prosper und Hilarius gelangt seien.
-
Diese Einleitung wurde für die BKV im Internet in zwölf Teile eingeteilt. ↩