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Wer wird mir jene Mutter darstellen, die würdig war, daß aus ihr ein solcher Martyrer hervorging, die, da ihr Sohn vom Scharfrichter zurückgelassen, und weil er noch am Leben war, mit den Übrigen nicht auf den Wagen geworfen wurde, bei Wahrnehmung des schonenden Verfahrens des Scharfrichters gegen den heldenmüthigen Kämpfer die Verweigerung der Ehre nicht ertrug, sondern ihm Vorwürfe machte, daß er den Kämpfer von seinen S. 445 Kampfgenossen trennte? Dann trat sie zum Martyrer hin, der vom Frost bereits erstarrt war und sich nicht mehr bewegen konnte, und als sie sah, daß er nur mehr einen kalten und kurzen Athem und nur mehr soviel Lebenskraft hatte, daß er den Schmerz empfand, und mit schwachem mattem Blicke auf seine Mutter schaute und mit der erstorbenen und kraftlosen Hand ihr zuwinkte, sie tröstete und zu heldenmüthiger Geduld aufmunterte: als Dieß die Mutter sah, begegnete ihr etwa, was einer Mutter verzeihlich ist? Wurden ihre Eingeweide bewegt oder zerriß sie ihr Kleid oder stürzte sie sich auf ihr Kind, um in ihren warmen Armen die Erstarrung zu lösen? Kein Gedanke! Nur so Etwas zu sagen, ist ungereimt. Fürwahr, wir erkennen den Baum aus seiner Frucht. Nicht kann ein schlechter Baum gute Früchte bringen. Da nun die Frucht des Martyrthums gut ist, so preise die Mutter, die den ausgezeichneten Mann geboren hat, die durch die Geburt gerettet wird, wie der Apostel sagt. Denn da sie für Gott eine solche Frucht hervorbrachte, legte sie Fürbitte für das gesammte Frauengeschlecht ein. Nicht mein Kind, sagt sie, bist du, nicht die Frucht meiner Schmerzen. Indem du Gott aufgenommen hast, bist du in Gott geboren. Du hast die Macht empfangen, ein Kind Gottes zu werden. Eile zu deinem Vater! Bleib nicht zurück hinter deinen Altersgenossen, damit du nicht nach ihnen die Krone empfängst. Vereitle nicht das Gebet deiner Mutter! Du wirst die Mutter nicht betrüben, wenn du als gekrönter Sieger triumphirst.
Indem sie so sprach und über die Natur sich anstrengte oder vielmehr vom Geiste gestärkt wurde, legte sie selbst ihren Sohn zu den übrigen auf den Wagen, indem sie mit heiterem Blicke den Kämpfer wie in festlichem Zuge begleitete. Was geschah nun weiter? Es kämpften die Heiligen in der Luft. Sie heiligten auch das Feuer, indem sie von ihm umfangen wurden und der Flamme sich zur Nahrung darboten. Sie hatten auch das Wasser gesegnet, in Allem erfüllten sich die göttlichen Prophezeiungen. Die S. 446 drei Jünglinge fügen in ihrem gemeinsamen Lobgesang Kälte und Hitze zusammen,1 Kälte im Frost, Hitze im Brennen. Dann gingen sie durch Feuer und Wasser. Aber Dieß wünscht die Rede als bekannt zu übergehen, und wir müssen jetzt Etwas in Angriff nehmen, wornach vorgestern geforscht wurde.
Als der Mensch aus dem Paradiese verbannt war, wurde dem geschwungenen flammenden Schwerte die Aufgabe zu Theil, den Eingang zu bewachen. Und die Ursache dieser Vorkehrung Gottes war, daß der Mensch keinen Zutritt zum Baume des Lebens hätte, davon genöße und unsterblich würde. Ihr erinnert euch gewiß an den Gegenstand der Untersuchung, ihr erinnert euch wohl auch an das Ergebniß unserer Untersuchung; wenn wir es aber von vorne wieder durchgehen und die ganze Rede nachholen wollten, so würde uns die zu Gebote stehende Zeit zu kurz werden. Der Gegenstand der Untersuchung war also dieser: ob auch den Heiligen das Paradies durch das gezückte Schwert verwehrt würde, und ob die Kämpfer vom Paradiese ausgeschlossen wären, und für welche Verheissung sie ferner die Kämpfe der Gottseligkeit unternehmen, und ob sie dem Schächer nachstehen sollen, zu dem der Herr sagte: „Heute wirst du bei mir im Paradiese sein.“2 Und doch nahte der Schächer nicht freiwillig dem Kreuze, sondern als der scharfsichtige und verständige Dieb dem Heile nahe war, sah er den Schatz und stahl, da sich ihm hiezu Gelegenheit darbot, das Leben, indem er von der Diebskunst einen guten und glücklichen Gebrauch machte. „Herr,“ sagte er, „gedenke meiner in deinem Reiche!“3 Wird nun Jener des Paradieses gewürdigt, während den Heiligen das flammende Schwert den Eingang verwehrt? Doch gerade hier findet sich die Lösung der Frage. Denn deßhalb zeigt das Wort dem Anblick der Eintretenden das Schwert nicht immer S. 447 als ruhend, sondern stellt es auch als geschwungenes hin, damit es dicht vor den Unwürdigen sich zeige, bei den Würdigen aber hinter ihrem Rücken sich schwinge und ihnen den ungehinderten Eintritt zum Leben eröffne, in welches Jene durch ihre unverdrossenen Kämpfe eindrangen und unversehrt durch die Flamme gingen. Mögen durch diese furchtlos auch wir gehen und ins Paradies gelangen, gestärkt durch ihre Fürbitte zum rühmlichen Bekenntniß unsers Herrn Jesus Christus, dem der Ruhm sei von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.IV. (Dritte) Lobrede auf die heiligen vierzig Martyrer, gehalten im Martyrium.
