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Warum nun, sag’ es mir, erhebst du dich, als wären es deine Güter, anstatt dem Geber für die Gaben zu danken? „Denn was hast du, das du nicht empfangen hast? Hast du es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen1?“ Nicht du hast Gott erkannt durch deine Gerechtigkeit, sondern Gott erkannte dich durch seine Güte. „Da ihr Gott erkannt habt,“ sagt Paulus, „oder vielmehr von Gott erkannt S. 336 wurdet2.“ Nicht du hast Christum durch deine Tugend ergriffen, sondern Christus hat dich durch seine Ankunft ergriffen. „Ich strebe darnach,“ heißt es, „ob ich es wohl ergreife, worin ich auch von Christus ergriffen worden bin3.“ „Nicht ihr habt mich erwählt,“ spricht der Herr, „sondern ich habe euch erwählt4.“ — Doch, weil du geehrt worden, bist du stolz darauf und machst die Barmherzigkeit zum Anlaß deiner Hoffart? Dann brauchst du nur dich selbst zu erkennen, wer du bist! Ein aus dem Paradies verstoßener Adam5, ein vom Geiste Gottes verlassener Saul6, ein von der hl. Wurzel abgeschnittenes Israel7. „Durch den Glauben“, heißt es, „stehst du; sei nicht hoffärtig, sondern fürchte8!“ Ein Gericht folgt der Gnade, und der Richter wird prüfen, wie du die Gnadengaben ausgenutzt hast.
Siehst du aber nicht einmal das ein, daß du Gnade erlangt hast, hältst du sie vielmehr in grenzenloser Verstockung für dein eigenes Verdienst, so geht es dir nicht besser als dem seligen Apostel Petrus, den du doch unmöglich an Liebe zum Herrn überbieten kannst, ihn, der den Herrn so innig liebte, daß er für ihn sterben wollte. Aber weil er so selbstbewußt sprach: „Wenn sich auch alle an dir ärgern, so werde ich mich niemals ärgern9!“, deshalb wurde er der menschlichen Furchtsamkeit überantwortet und sank bis zur Verleugnung. Durch diesen Fall sollte er zur Behutsamkeit gemahnt und belehrt werden, die Schwachen zu schonen, zugleich auch seine eigene Schwäche erkennen und klar einsehen, daß er, wie auf dem Meere dem Versinken nahe, aber durch Christi Rechte obengehalten10, so auch, in der Flut des Ärgernisses schuld seines Unglaubens tödlich gefährdet, durch Christi Macht geschützt wurde; der Herr hatte ihm ja auch vorhergesagt, was kommen würde, da er sprach: „Simon, Simon, siehe, der Satan hat verlangt, euch sieben zu dürfen, wie man den Weizen S. 337 siebt. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht ausgehe; und wenn du einst bekehrt sein wirst, dann stärke deine Brüder11!“ — So zurechtgewiesen, ward dem Petrus mit Recht geholfen; er sollte ja nur seinen Stolz aufgeben lernen und zur Nachsicht gegen Schwache erzogen werden.
Jener strenge und ungemein hochmütige Pharisäer aber, der nicht nur kühn auf sich selbst vertraute, sondern auch den Zöllner vor Gott schmähte, verlor ob seines verdammenswerten Übermutes den Ruhm der Gerechtigkeit. Und der Zöllner ging statt seiner gerechtfertigt nach Hause, weil er dem hl. Gott die Ehre gab und nicht einmal aufzublicken wagte, sondern nur Verzeihung suchte, durch seine Haltung und sein Klopfen an die Brust sich als Schuldigen bekannte und nichts anderes als Barmherzigkeit begehrte12. — Sieh dich also vor und laß dich gewarnt sein durch das Beispiel einer schweren Bestrafung des Hochmuts! Der Übermütige büßte seine Gerechtigkeit ein; der Selbstbewußte verlor den Lohn, wurde dem Demütigen und Sünder nachgesetzt, weil er sich über letzteren erhob, nicht das Urteil Gottes abwartete, sondern sein eigenes fällte.
Du erhebe dich nie über jemand, nicht einmal über den größten Sünder! Oft rettet die Demut den, der viele große Sünden begangen hat. Halte dich nicht für gerechter als den Nebenmenschen, damit du nicht einmal mit deiner Rechtfertigung aus eigenem Munde durch Gottes Urteil verdammt wirst! „Ich richte mich nicht selbst“, sagt Paulus. „Ich bin mir ja nichts bewußt, aber deshalb noch nicht gerechtfertigt; der mich richtet, ist der Herr“13.
