8.
Wir wollen jetzt wieder auf die bekannten Worte zurückkommen. „Sie sollen sein zu Zeichen und zu Zeiten, zu Tagen und zu Jahren1”, heißt es. Von den Zeichen haben wir bereits gesprochen. Mit „Zeiten” sind wohl die Wechsel der Jahreszeiten, des Winters, Frühlings, Sommers und Herbstes, gemeint, deren regelmäßige Wiederkehr wir der gesetzmäßigen Bewegung der Gestirne verdanken. Denn der Winter tritt ein, wenn die Sonne in den südlichen Zonen weilt und in unserer Gegend den langen Schatten der Nacht verursacht; dadurch erkaltet die Luft über der Erde, sammeln sich um uns an alle feuchten Ausdünstungen, und Regen, Fröste und häufiger Schneefall sind die Folge. Kehrt sie dann wieder aus den südlichen Zonen zurück und erreicht die Mitte, so daß Tag- und Nachtgleiche ist, dann führt sie allmählich eine Temperatur herbei, die um so günstiger ist, je länger sie über den betreffenden Erdgegenden leuchtet. Und es kommt der Frühling, der alles Wachstum zu neuem Sprossen weckt, der die meisten Bäume neu belebt, allen Land- und Wassertieren Nachwuchs von Jungen schenkt und so deren Art erhält. Von da nimmt dann die Sonne ihren Lauf zur Sommerwende gen Norden und schenkt uns die längsten Tage. Und weil sie sehr lange im Verkehr steht mit unserer Atmosphäre, erhitzt sie die Luft über uns, trocknet die ganze Erde aus, verhilft dadurch den Samen zur Reife und beschleunigt die Zeitigung der Baumfrüchte. Wenn die Sonne S. 102 am heißesten ist, wirft sie um Mittag kurze Schatten, weil sie unmittelbar über uns den Ort bescheint. Die längsten Tage sind die, an denen die Schatten am kürzesten sind, und umgekehrt sind die kürzesten Tage die, welche die längsten Schatten haben. So ist es bei uns, die wir „Einschattige2” genannt werden, insofern wir die nördlichen Gegenden bewohnen. Es gibt nämlich auch Menschen, die jedes Jahr zwei Tage lang um Mittag gar keinen Schatten haben, denen die Sonne über dem Scheitel leuchtet, und die sie von allen Seiten gleichmäßig bescheint, so daß selbst das Wasser im tiefen Brunnen durch enge Spalten von ihr beschienen wird. Man nennt sie deshalb „Schattenlose3”. Bei denen aber, die über das Gewürzland4 hinaus wohnen, wechseln die Schatten nach beiden Seiten. Denn sie allein unter den Erdbewohnern werfen den Schatten um Mittag nach Süden, weshalb sie von manchen „Doppelschattige5” genannt werden. Dies alles aber geschieht, wenn die Sonne bereits nach Norden sich wendet. Hieraus läßt sich schließen auf die starke Erhitzung der Atmosphäre durch die Sonnenbestrahlung und auf die verschiedenen Folgen daraus. Alsdann nimmt uns die Zeit des Herbstes auf; sie bricht die übermäßige Hitze; die Wärme nimmt allmählich ab, und so werden wir durch den Übergang einer gemäßigten Temperatur ohne Nachteil in den Winter hineingeführt. Die Sonne kehrt nämlich wieder aus dem Norden nach dem Süden zurück. Diese Zeitenwechsel, die der Bewegung der Sonne folgen, regeln unser Leben.
„Sie sollen sein”, heißt es, „zu Tagen”, nicht um Tage zu machen, sondern den Tagen vorzustehen. Tag und Nacht sind ja älter als die Lichter. Das zeigt uns auch der Psalmist mit den Worten: „Er setzte die Sonne zur S. 103 Beherrschung des Tages, Mond und Sterne zur Beherrschung der Nacht6.” Wie hat nun die Sonne die Herrschaft über den Tag? Dadurch, daß sie das Licht mit sich bringt, wenn sie jeweils an unserem Horizonte aufsteigt, die Finsternis vertreibt und den Tag herbeiführt. Daher dürfte der wohl nicht irren, der den Tag definiert als die von der Sonne erleuchtete Luft, oder der sagt, Tag sei das Maß der Zeit, in der die Sonne in der Hemisphäre über der Erde verweilt. Doch auch „zu Jahren” sind Sonne und Mond bestimmt worden. Wenn der Mond zwölfmal seinen Lauf vollendet hat, so macht er ein Jahr; nur ist oft ein Schaltmonat notwendig, um ein genaues Zusammentreffen der Zeiten zu erzielen; so maßen vor alters die Hebräer und die ältesten Griechen das Jahr. Ein Sonnenjahr aber ist die Zeit, welche die Sonne braucht, um entsprechend ihrer Bewegung von einem bestimmten Zeichen zu eben demselben zurückzukehren.
