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Und wie wir dort zur Heilung des Leibes uns schneiden und brennen lassen und bittere Arznei nehmen, so müssen wir auch hier zur Heilung der Seele das Schneidende der Strafrede und die bitteren Arzneien der Zurechtweisungen annehmen. In dieser Beziehung macht das prophetische Wort denen, die sich nicht gebessert haben, Vorwürfe und sagt: „Ist denn kein Balsam mehr in Galaad? Oder ist kein Arzt dort? Warum macht die Heilung der Tochter meines Volks keine Fortschritte?“1 Auch daß wir bei chronischen Krankheiten von der Länge der Zeit und zugleich von schmerzlichen und mannigfaltigen Hilfsmitteln die Heilung erwarten, ist ein Hinweis, daß wir auch das Gebresten der Seele durch fleissiges Gebet, lange Buße und strengen Wandel, den uns die Schrift genugsam zur Heilung empfiehlt, bessern müssen. Keineswegs dürfen wir, da Einige von der Heilkunde nicht den rechten Gebrauch machen, jede Anwendung derselben von der Hand weisen. Denn weil unmäßige Lüstlinge die Koch-, Back- oder Webekunst zur Schwelgerei gebrauchen und die Grenze der Bedürfnisse überschreiten, so dürfen wir darum nicht sogleich alle Künste verwerfen, sondern müssen im Gegentheile, was von jenen verderbt worden, durch den rechten Gebrauch wieder gut machen. So ist es auch nicht vernünftig, wegen des schlechten S. 158 Gebrauchs, der mit der Heilkunde gemacht wird, dieses Geschenk Gottes anzuklagen. Denn einerseits ist es thierischer Unverstand, die Hoffnung auf seine Gesundheit in die Hände der Ärzte zu setzen, wie wir einige Unglückliche thun sehen, die sich nicht scheuen, sie ihre Retter zu nennen; anderseits ist es Eigensinn, von ihr gar keinen Gebrauch zu machen. Im Gegentheil, wie Ezechias nicht die Feigenmarmelade für die erste Ursache seiner Gesundheit hielt und ihr nicht die Heilung seines Leibes zuschrieb, sondern Gott die Ehre gab und ihm für die Erschaffung der Feigen dankte;2 ebenso pflegen auch wir, wenn wir von Gott, der unser Leben gut und weise lenkt, Leiden empfangen, ihn zuerst um die Erkenntniß der Ursache, weßwegen er die Leiden über uns verhängt, dann aber um Befreiung von den Drangsalen und um Geduld zu bitten, auf daß er mit der Versuchung auch den Ausgang gewähre, um ausharren zu können.
