9.
Der treffliche Salomon lobt in seiner Pädagogik, d. i. in den Sprüchen1, das Weib, das zu Hause bleibt und seinen Mann liebt. Im Gegensatz zu dem Weibe, das außer dem Hause herumstreift, das lüstern, unschamhaft, durch schlechte Gebärden und Worte ehrbare Menschen in seine Netze lockt, stellt er das Weib, welches sittsam zu Hause bleibt, seine weiblichen Pflichten männlich erfüllt, seine Hände stets an den Spinnrocken legt, seinem Manne doppelte Kleidung fertigt, zur rechten Zeit den Acker kauft, seinen Knechten gute Nahrung reicht, die Freunde an reichlicher Tafel bewirtet und alles tut, was Salomon sonst noch an einer verständigen, fleißigen Frau gepriesen hat. Wollte ich aber meine Schwester nur wegen solcher Vorzüge loben, dann wäre es so viel, als wenn ich eine Bildsäule wegen ihres Schattens oder einen Löwen wegen seiner Krallen S. 238 loben würde, dann würde ich das Wichtigere und Vollkommenere beiseite lassen. Wer verdiente es mehr, gesehen zu werden? Wer aber ließ sich seltener sehen als sie, die sich vor den Augen der Männer zurückhielt? Wer verstand in Leid und Freud besser Maß zu halten als sie, die bekanntlich in ihrer Trauer nicht die Menschenwürde und in ihrer Lieblichkeit nicht den Anstand vergaß, dort Klugheit, hier Zartheit offenbarte und durch Vereinigung von Freundlichkeit und Würde die Schicklichkeit zu wahren wußte? Vernehmet es, ihr Frauen, die ihr gar so gerne euch sehen lasset und dem Leichtsinne huldiget und euch lustig macht über die, welche sich schüchtern verhüllen! Wer hat seine Augen so gehütet? Wer hat das Lachen so sehr verabscheut, daß sogar schon ein beginnendes Lächeln zuviel war? Wer hat seine Ohren mehr verschlossen? Wer hat sie anderseits den Worten Gottes mehr geöffnet? Wer hat mehr den Geist zum Führer der Zunge gemacht, daß sie die Lehren Gottes verkünde? Wer hat in solcher Weise den Lippen Ordnung vorgeschrieben?
Sprichw. 31, 10 ff. ↩
