§ 5.
1) Weil man ganz entgegengesetzte Dinge nicht in sich vereinigen kann, so ist es unmöglich, in Vereinigung mit dem Einen zu bleiben und zugleich in die Vielheit (der sündigen Neigungen, Affekte, Phantasien) zersplittert zu sein. 2) Zum Zeichen, daß man diese Vielheit des früheren, bösen Lebens abtun will, erfolgt die Entkleidung des Täuflings, das Treten nach Westen und die Abschwörung in Worten und Geberden. 3) Ähnlich zu deuten ist der Gebrauch, den Taufkandidaten dann nach Osten treten und das Gelöbnis des treuen Festhaltens an Christus ablegen zu lassen; es bedeutet die fest entschlossene Hinwendung zum Einen und die beständige Tendenz, das Eine in sich selbst herauszubilden. 4) Nicht in einem Augenblick vollzieht sich dieser Prozeß, er ist vielmehr das Werk langer und mühevoller Anstrengungen, eines unbeugsamen Widerstandes gegen die Lockungen des Bösen und eines ständig sich erneuernden Aufschwunges des Geistes zum Höchsten.
S. 113 Es ist nicht möglich, zu gleicher Zeit an Dingen, die sich schroff gegenüber stehen, teilzunehmen und ebenso kann derjenige, welcher die Gemeinschaft mit dem Einen erlangt hat, nicht mehr ein geteiltes Leben führen, wenn er anders an dem sichern Besitz des Einen festhalten will. Er muß bei allem, was eine Zerteilung des Eingestaltigen bedeutet, unberührt und unüberwindlich bleiben. Dies geben die überlieferten Symbole auf heilige Weise bildlich zu verstehen: sie ziehen ihm das frühere Leben gleichsam wie ein Gewand aus und befreien ihn bis auf die letzten Beziehungen zu demselben, sie stellen ihn nackt und unbeschuht mit dem Gesicht nach Westen hin, wobei er durch Wegstoßen der Hände der Gemeinschaft mit der Finsternis der Sünde widersagt, den ihm angebornen Zustand der Entfremdung (von Gott) gleichsam aus sich fortbläst und die vollständige Abschwörung von allem, was mit der Gottebenbildlichkeit im Widerspruche steht, bekennt. Wenn der Täufling auf diese Weise ledig und von aller Gemeinschaft der Sünde frei geworden ist, führt ihn der Taufritus gegen Osten und kündigt ihm dadurch an, daß nur bei der vollständigen Abkehr von der Sünde sein Stehen und sein Aufwärtsblicken im göttlichen Lichte ungestört sein werden. Seine heiligen Zusagen aber, ganz und gar dem Einen sich zuzuwenden, werden, da er eingestaltig geworden, wahrheitsliebend entgegen genommen.
Es ist aber wohl allen Kennern der hierarchischen Geheimnisse, wie ich denke, offenbar, daß das geistige Leben nur durch die unablässigen, kräftigen Aufschwünge zu dem Einen und durch die vollständige Ertötung und Vernichtung der entgegengesetzten Neigungen den unveränderlichen Charakter des gottähnlichen Zustandes erlangt. Denn es genügt nicht, bloß von jeglicher Sünde zurückzutreten, man muß auch mannhafte Unbeugsamkeit zeigen, man darf zu der verderblichen Nachgiebigkeit gegen die Sünde nie sich einschüchtern lassen und niemals in der heiligen Liebe zur Wahrheit erschlaffen, sondern muß ununterbrochen und ohne Ende zu ihr, soweit die Kraft reicht, sich ausstrecken, indem man allezeit den Aufstieg zu den voll- S. 114 kommenern Gaben der Urgottheit heilig bewerkstelligt1.
Vgl. 1. Kor, 12, 31 und Phil. 12, 14, um das Durchschimmern der Paulinischen Gedanken in der obigen Stelle zu erkennen. ↩
