2.
In der Wüste am Jordan lebten zwei fromme Männer, Symeon und Johannes mit Namen, und führten mit Fasten und Beten, Nachtwachen und Psalmensingen den engelgleichen Wandel. Sie waren aus Edessa gebürtig und aus guter Familie, aber an der Schwelle des Mannesalters hatten sie der Welt entsagt und sich den Engeln Gottes in den Klöstern am Jordan beigesellt. Aber nachdem sie dort eine Zeitlang verweilt hatten, gab ihnen Gott ins Herz, auch dem klösterlichen Zusammenleben zu entsagen, und ihre Seele dürstete danach, niemanden zu sehen, zu sprechen und zu hören. So lebten sie in völliger Einsamkeit und nährten sich von dem, was Gott ihnen schickte, lernten jede Unbill und Versuchung des Teufels ertragen und näherten sich täglich mehr der himmlischen Vollkommenheit. Als sie nun so in der Wüste an die neunundzwanzig Jahre zugebracht hatten, da sprach eines Tages Symeon, denn er hatte keine Leidenschaft mehr zu fürchten noch Hunger noch Hitze, sondem war fast über das Maß der menschlichen Natur hinausgewachsen: Was nutzt es uns nun noch, Bruder Johannes, in dieser Wüste zu weilen? Wenn du mir folgen willst, so steh auf, laß uns gehn und auch andere retten. Denn hier können wir außer uns selbst niemandem nutzen und haben von niemand Lohn! und er wies auf die Worte der heiligen Schrift hin, die zur Liebe des Nächsten mahnen. Johannes aber meinte, der Satan habe seinen Bruder betört und redete ihm in großer Sorge zu. Der aber war im Herrn seines Planes froh und blieb standhaft und sagte: Sei versichert, ich bleibe nicht, sondern S. 65 gehe in der Macht meines Herrn Christus hin, um der Welt einen Possen zu spielen. So nahm er unter vielen Tränen von Johannes Abschied und zog nach Jerusalem, um die heiligen Stätten zu besuchen. Dort betete er immer nur dies eine, daß sein Tun bis zu seinem Tode verborgen bleibe, damit er dem Ruhme bei den Menschen entgehe, der den Eigendünkel und Hochmut erzeugt und selbst: Engel aus dem Himmel gestürzt hat. Und Gott erhörte sein Gebet und legte einen Schleier auf die Herzen derer, die seine Taten sahen, daß sie ihn wahrhaftig für einen Narren hielten, der doch als ein wohlgerüsteter Kämpfer gegen die Welt rang nach dem Wort des Apostels: Wir sind Narren um Christi willen 1. Kor. 4, 10.
