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[Forts. v. S. 110 ] 1 Wahrlich du weißt: wie mit der Blume die Vergänglichkeit, so teilst du mit dem Weinstock die Freude. Von ihm kommt der Wein, an dem des Menschen Herz sich freut2. O daß du, o Mensch, ein derartiges Vorbild nachahmen möchtest, um auch selbst dir der Freude und des Frohsinns Frucht zu ziehen! In dir selbst ruht die Süßigkeit deiner Lust und Wonne, aus dir blüht sie hervor, in dir verbleibt sie, in deinem Inneren besitzest du sie, in dir selbst hast du den Frohsinn deines Gewissens zu suchen. Darum die Aufmunterung: „Trink Wasser aus deinen eigenen Gefäßen und aus deiner Brunnen Quellen!“3
S. 111 Allererst gibt es nichts Lieblicheres als den Duft eines blühenden Weinstocks: gibt doch der aus der Blüte reifende, gekelterte Saft einen Trank, der dem Genuß und der Gesundheit zugleich frommt. Sodann, wer müßte nicht staunen, wie aus dem Weinbeerkern ein Rebstock bis zur vollen Wipfelhöhe eines Baumes hervorsproßt4, letzteren sozusagen kosend umfängt, wie mit Händen umklammert und mit Armen umschlingt, mit Rankenlaub kleidet, mit Traubengewinden kränzt? Ein Vorbild unseres Lebens senkt er zuerst die lebenskräftige Wurzel in den Boden, umfaßt sodann, weil er von Natur schwächlich und hinfällig ist, wie mit Armen alles, was er erreicht, rankt sich daran empor und schwingt sich in die Höhe.
