Cap. X.
So habt ihr denn erkannt, wo Christus gesucht wird; suchet nun auch zu erkennen, wie man verdient, daß Christus uns sucht. Rufe den heiligen Geist an mit jenen Worten des hohen Liedes:1 „Hebe dich, Nordwind, und komme, Südwind! Durchwehe meinen Garten, so werden feine Gewürze fließen. Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse die Früchte seiner Aepfel.“ Der Garten des ewigen Wortes ist die in frommer Gesinnung erblühende Seele; die Werke ihrer Tugend sind die Früchte.
Er kommt also, und du magst essen oder trinken, wenn du Christus rufest, so ist er da und spricht zu dir: „Kommet, esset mein Brod und trinket den Wein, den ich euch gemischt habe.“2 Auch wenn du schläfst, steht er pochend an deiner Thüre. Ja er kommt oft, aber nicht immer, auch nicht zu Allen, sondern nur zu jener Seele, welche sagen kann: „Abgelegt zur Nachtzeit habe ich mein Gewand.“3 Hinsinken muß erst in der Nacht dieses Lebens die Hülle des sterblichen Leibes, wie auch der Herr seines irdischen Fleisches sich entäußerte, um für dich über die Mächte und Gewalten dieser Welt zu triumphiren.
„Wie soll ich aber das Gewand wieder anziehen?“ spricht die Gott geweihete Seele ferner. So vollständig entwöhnt S. 169 sie sich der fleischlichen Handlungen, so vollständig entäußert sie sich irdischer Gesinnung, daß sie gar nicht weiß, wie sie jene — auch wenn sie wollte — von Neuem annehmen könnte. Die Gewöhnung im Guten hebt die alt und lieb gewordene böse Gewohnheit auf.
„Ich habe meine Füße gewaschen, wie soll ich sie wieder besudeln?“ Das Evangelium belehrt uns, daß das Waschen der Füße das Geheimniß des Glaubens bedeutet und das Zeichen wahrer Demuth ist, nach jenen Worten des Herrn:4 „Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße wasche, um wie viel mehr müsset dann ihr der Eine des Andern Füße waschen.“ Dieses Wort mahnt zur Demuth. Hinsichtlich des Geheimnisses aber muß daran erinnert werden, was der Herr zu Petrus sagt: „Wenn ich dir die Füße nicht wasche, so wirst du keinen Theil an mir haben.“ Ward das dem Petrus gesagt, was wird dann uns gelten?
Wer aber die Füße gewaschen hat, der bedarf nach dem Ausspruche des Herrn nichts weiter; aber darum soll er sich auch hüten, sie wieder zu besudeln. Die Kirche sagt mit Recht: „Ich habe meine Füße gewaschen,“ aber sie setzt nicht hinzu: Wie werde ich sie nochmals waschen? sondern: „Wie soll ich sie wieder besudeln?“ So ganz hat sie vergessen der alten Makel und Schmach. So zeigt uns der Herr durch äußere Handlung, wie wir die geistigen Spuren unserer Handlungen abwaschen sollen. Hast du einmal deine Füße mit dem lebendigen Quellwasser aus Himmels Höhen gewaschen und im Geheimniß des Sakramentes dich gereinigt: ach! dann hüte dich aber auch, daß nicht von Neuem der Schmutz fleischlicher Begierden und sündhafter Handlungen dich besudle.
Das sind aber jene Füße, die David im Geiste gewaschen, wenn er uns lehrt, wie wir vermeiden, sie wieder zu beflecken: „Es stehen unsere Füße in deinen Vorhöfen, S. 170 Jerusalem!“5 Da denkt er nicht an leibliche, sondern an geistige Füße. Denn wie könnte ein sterblicher, irdischer Mensch seine leiblichen Füße setzen in die Räume des Himmels? Jerusalem ist aber nach dem Zeugnisse des Apostels der Himmel; er sagt ja nicht minder: „Unser Wandel ist im Himmel!“6 der Wandel in gläubiger frommer Sitte.
