Cap. XV.
S. 179 So suche ihn denn, jungfräuliche Seele! Doch nein, suchen wir ihn vielmehr Alle! Mit Gebet und heissem Flehen müssen wir Gott einladen, daß er mit dem milden Hauche seiner Gnade uns berühre, daß er das überströmende milde Erbarmen des Wortes uns zuwende. So sagt die Braut des hohen Liedes: „Er setzte mich auf die Wagen Aminadabs.“1 So lange nämlich unsere Seele im Körper weilt, gleicht sie einem Wagen mit unbändigen Rossen, und sie bedarf deßhalb eines kundigen Lenkers. Aminadab war der Vater Naasons, eines Fürsten in Juda; er ist ein Vorbild Christi, der als der wahre König seines Volkes auch unsere Seele mit dem Zügel seines Wortes lenkt, damit sie nicht in den Abgrund versinkt, gleich den Wagen, von wildgewordenen, unbändigen Rossen gezogen.
Vier Rossen gleich sind die Leidenschaften unserer Seele: Zorn, Habgier, Wollust, Furcht. Unter ihrer Herrschaft kennt die Seele sich selbst nicht: der irdische Leib beschwert die Seele und reißt sie wider ihren Willen mit der Gewalt unsinniger Thiere fort. Dann folgt sie unaufhaltsam dem Anstoß der Leidenschaft, bis diese unter dem mächtigen Drucke des göttlichen Wortes sich beruhigt. So handelt der Hirt unserer Seele, einem weisen Wagenlenker vergleichbar; er hindert, daß der sterbliche Leib der unsterblichen Seele die Freiheit der Bewegung raube.
Vor Allem soll man deßhalb die leidenschaftlichen Regungen der sinnlichen Natur beherrschen und mittels der S. 180 Vernunft zügeln. Aber auch darauf soll man sehen, daß Gleichmäßigkeit in dem Gebrauche der Fähigkeiten waltet, damit es nicht so ergeht, als wenn ein langsames, träges Roß hindert, oder als wenn ein stürmisches stete Unruhe bereitet: leicht bäumt sich das wilde, boshafte Roß, belästigt das Nebengespann und bringt, sich überschlagend, das Gefährt zum Sturze.2 Hier soll nun der gute Lenker besänftigen, wie Christus es thut, der auf das Feld der Wahrheit uns führt und den zerschmetternden Fall in die Tiefen des Irrthums verhindert. Zum Himmel droben führt sicherer Weg, aber abwärts birgt der Weg viele Gefahren. Wer dann treu das Joch des Wortes getragen, der kommt zum Hause des Herrn, wo seiner als Nahrung harret das Brod, das vom Himmel herabgekommen ist.
Das Citat Hoh. L. 6, 11 („posuit me currus Aminadab“) ist nach den LXX: „ἔθετί με ἅρματα Ἀμιναδάβ“ [etheti me harmata Aminadab]. Die Vulgata übersetzt: Anima mea conturbavit me propter quadrigas Aminadab. Ein Blick auf den Zusammenhang wird die Behauptung rechtfertigen, daß Ambrosius wohl niemals ein weniger passendes Citat verwendet hat. Ueberhaupt leidet diese ganze Abhandlung an einer bis zur mitunter Willkür sich steigernden Spielerei im Gebrauch von Stellen der hl. Schrift. ↩
Der lateinische Text vermischt Bild und Wirklichkeit: fremit equus malitiae, seseque jactando currum laedit, gravat jugalem etc. etc. Man muß hier und bei einigen folgenden Stellen an einer wörtlichen Uebersetzung verzweifeln. ↩
