Cap. III.
Das blutige Opfer wird also dargebracht, und Niemand widersetzt sich dem; das Opfer der Keuschheit soll gebracht werden, aber da findet sich wohl Jemand, der es hindert. Der Vater verspricht den Tod seiner Tochter und lös’t das Versprechen; hier gelobt ein Vater die Jungfräulichkeit der Tochter, aber die Ausführung einer so frommen Hingabe stößt auf Widerspruch. Dort gibt die trauernde Tochter ihr Blut hin wegen des Gelübdes ihres Vaters; hier aber wird das Versprechen nicht durch Entschluß der Erbin, nicht durch eigene Willensentschiedenheit gelös’t.
Man richtet nun auch gegen mich Anklagen; weßhalb aber? Etwa weil ich unrechtmäßige Ehen hindere? Aber dann mag man auch Johannes den Täufer anklagen. Findet man sonst Nichts in mir, was Anerkennung verlangen könnte, so mag man immerhin das an mir verurtheilen, was an jenem Propheten ausdrücklich anerkannt ist. Oder berufe ich mich vielleicht auf einen Zeugen, dessen ich mich schämen müßte? Aber so erinnert euch doch nur, wo der Grund für sein Martyrium lag! Es sind die Worte: „Nicht erlaubt ist es dir, dieses Weib zu haben.“ Wenn das nun von dem Weibe eines anderen Mannes galt, um wie viel mehr gilt es von einer gottgeweihten Jungfrau! Wenn das dem Könige gesagt wurde, um wie viel mehr muß es einfachen Menschen gesagt werden! Dank sei aber Gott, daß hier kein Herodes ist! Wollte Gott, es gäbe auch keine Herodias! Ist es denn nicht mehr gestattet, zu Gunsten der Jungfräulichkeit ein Wort zu reden? Und warum ist denn geschrieben: „Schaffet Recht der Waise, beschirmet die Wittwe?“ Und an einer anderen Stelle: „Vater der Waisen und S. 151 Richter der Wittwen ist Gott?“1 Und wir sollten die, welche jungfräulicher Reinigkeit sich ergeben, verlassen oder gar verurtheilen?
Selbst bei den Heiden erschien die Jungfräulichkeit zwischen Familie und Altar ehrwürdig. Während sonst bei ihnen keine Achtung vor Verdiensten, keine Reinheit des Herzens sich findet: so wird doch die äußerlich bewahrte Jungfräulichkeit gerühmt. Von dem Heiligthum bei den Heiden hält also Niemand die Jungfrauen zurück, und von der Kirche Gottes soll die Jungfräulichkeit fortgeschreckt werden? Dort werden die Jungfrauen gezwungen zu einem Leben, das mit ihrer Lehre nicht übereinstimmt; hier soll das untersagt sein, was wir doch nicht unterlassen dürfen zu predigen? Dort zieht man durch Belohnungen von der Vermählung ab: und hier will man mit Beleidigungen zur Hochzeit zwingen! Dort wird Gewalt gebraucht, um die Wahl zu ermöglichen;2 S. 152 soll denn nun hier Gewalt angewendet werden, um das heilige Gelübde zu verhindern? Und soll endlich die Geduld der Priester jetzt soweit gehen, daß sie trotz des dargebotenen Opfertodes das Opfer jungfräulicher Reinigkeit, wenn es sein muß, nicht vertheidigen dürften?!
Erwäget doch nur, daß Jungfrauen früher noch als die Apostel gewürdigt wurden, den Herrn nach seiner Auferstehung zu schauen. Denn als der Leichnam unseres Herrn Jesu Christi in einem neuen Grabmale beigesetzt war, oder als — wie Matthäus berichtet — Joseph in seinem Grabmale den Leib des Herrn beigesetzt hatte, da bemerkten die Jungfrauen die Auferstehung. Matthäus nennt das Grabmal ein neues, damit der Glaube nicht Platz greifen könnte, als sei aus einem alten Grabe ein Anderer auferstanden. Ebenso ist es bezeichnend, wenn gesagt wird, er habe im Grabe eines Gerechten gelegen, weil der Herr von den Todten in einer ungeahnten Schönheit des Gerechten erstand. Auch das ist zu beachten, daß das Grabmal dem Wortlaute nach ein fremdes war, da der Herr ja sein eigen Grab nicht aufsuchen konnte. Die mögen den Grabhügel behalten, welche noch unter dem Gesetze des Todes sind; der Sieger über den Tod hatte keinen ihm gehörenden Grabhügel: es konnte ja der nicht das Grab des Todes erwählen, welcher dem Tode die Siegestrophäen abnahm. Es sah also Maria den auferstandenen Heiland; sie sah ihn vor Allen zuerst und glaubte. Auch Maria Magdalena erblickte ihn, obgleich sie im Glauben noch schwankte.
Is. 1, 17; Ps. 67, 6 [Hebr. Ps. 68, 6]. ↩
„Illic violentia fit, ut capiantur“ sagt Ambrosius. Man kann indessen nicht sagen, daß eigentliche Gewalt jemals zur Herbeiführung der Wahl von Vestalinnen angewendet sei. Der pontifex maximus hatte das Recht, die Vestalinnen frei zu wählen: capere, legere, αἱρεῖσθαι, ἀποδείκνυσθαι [haireisthai, apodeiknysthai]. Zur Erklärung sagt Gellius I, 12: „Capi autem virgo propterea dici videtur, quia pontificis maximi manu prehensa ab eo parente in cuius manu est veluti bello capta abducitur.“ Daß aber dabei von Gewalt keine Rede war, geht aus der späteren Bestimmung der lex Papia hervor, nach welcher die Eltern ihre Töchter zu Vestalinnen anbieten konnten; und es scheint aus dem Wortlaut zu folgen, daß dieses Anerbieten nicht selten war: [lex] „qua cavetur ut pontificis max. arbitratu virgines e populo viginti legantur sortitioque in concione ex eo numero fiat, et cuius virginis ducta erat sors, ut eam pont. max. capiat eaque Vestae erit.“ — Das bleibt freilich wahr, daß das Institut immerhin als eine Last galt; dafür spricht das Feststehen von Gründen und Verhältnissen, die der betreffenden Candidatin oder ihren Eltern das Recht der Excusation gaben. „Eam, cuius soror ad id sacerdotium lecta est, excusationem mereri aiunt.“ (Gell. l. c., wo noch andere Excusationsgründe angegeben sind.) ↩
