Cap. II.
Jephte war ein Richter des Volkes Israel. Ungewiß über den Ausgang des Krieges und das Schwanken des Kriegsglückes fürchtend gelobte er dem Herrn ein Gelübde: „wenn er die Feinde besiege, so wolle er Gott, dem er dann seinen Triumph verdanke, zum Opfer darbringen, was ihm zuerst auf der Schwelle seines Hauses entgegenkomme.“ Er kehrte siegreich, nachdem er die Feinde zersprengt, in sein Haus zurück: die Erste aber, welche dort ihm entgegentrat, eingedenk ihrer kindlichen Pflicht, war seine Tochter, die von dem Gelübde ihres Vaters Nichts ahnte. Dieser gedachte sofort dessen, was er versprochen, und tiefbetrübt seufzte er im Gedanken an die Erfüllung. „Ach, meine Tochter!“ sprach er, „wie betrübest du mich; denn ich habe meinen Mund aufgethan zu dem Herrn über dich!“ Sie aber zögerte nicht, zu antworten: „Mein Vater, hast du deinen Mund aufgethan zu dem Herrn, so thue an mir, was du gelobet hast.“ Sie begehrte nur zwei Monate Ausstand, damit sie hingehe auf die Berge und ihre Jungfrauschaft beweine. Und als S. 147 zwei Monate verflossen waren, kehrte sie zurück zu ihrem Vater, und er that an ihr, wie er gelobt hatte. So muß man annehmen, obgleich die Schrift den Ausgang nicht berichtet, weil sie es vermeiden will, dieses Kindesopfers ausdrücklich zu erwähnen.1
S. 148 Wie nun? Billigen wir das? — Ganz gewiß nicht! Während wir aber das Opfer des Kindes nicht billigen, bemerken wir doch die Furcht und den Schrecken, das Gelübde zu brechen. Aus gleichem Grunde hörte Abraham das anerkennende Wort: „Jetzt weiß ich, daß du den Herrn deinen Gott liebst, weil du deines eingebornen Sohnes nicht geschont hast.“ Da haben wir ein Beispiel, an welchem gezeigt wird, daß ein Gott gemachtes Versprechen nicht leichtfertig darf mißachtet werden. Daß übrigens Gott das Menschenopfer keineswegs wohlgefällig war, geht aus derselben Erzählung deutlich hervor, weil an Stelle des Sohnes ein Widder zum Opfertode bestimmt wurde.
Jephte hatte darnach ein Beispiel, dem er folgen konnte, da der Herr am Blute des Menschenopfers niemals Wohlgefallen hat. Denn in dem einen an Abraham gerichteten Worte lag die Lehre, daß das Wohl des Kindes den Pflichten gegen Gott nachstehe, daß jenes also Gott hingegeben S. 149 werden müsse, aber nicht dürfe zum Opfer getödtet werden. Da nun hier die Tochter so sehr besorgt war um des Vaters Versprechen, warum nahm er keinen Anstand, das einzige Kind zu opfern? wenn jene bei ihrem Vater um jeden Preis die Lüge verhindern wollte, warum dachte er nicht daran, ihren Tod zu hindern?
Es könnte hier Jemand einwenden: Wenn Gott dort die Opferung des Kindes nicht zuließ, warum duldet er sie hier? Gilt denn bei Gott ein Ansehen der Person? Wir antworten auf die letzte Frage: Gewiß nicht, vielmehr lediglich ein Ansehen der Verdienste und Tugenden. Während indessen der Rath unbestimmt war, mußte durch göttlichen Ausspruch festgestellt werden, was im Augenblick geschehen und was für die Zukunft als Beispiel bleiben sollte. Wo ein Beispiel bereits vorliegt, da ist das erklärende Wort ferner nicht nothwendig, weil die Art der vollbrachten Handlung offen darlegt, was geschehen muß.
Dagegen gibt es wohl um deßwillen nicht bloß eine Art der göttlichen Thaten, weil eben auch das Verdienst nicht ganz dasselbe ist. Hier ist der Vater von Schmerz bewegt, es weint die Tochter: beide hegen Zweifel an der göttlichen Erbarmung. Dagegen war Abraham nicht betrübt, er fragte nicht nach den Gefühlen seines Vaterherzens. Sobald er das göttliche Geheiß vernommen, zögerte er mit dem Opfer nicht ferner, sondern beeilte sich, seinen Gehorsam zu beweisen. Isaak zauderte nicht, seinem Vater, der mit rascherem Schritte voranging, zu folgen; er weinte nicht, als er gebunden wurde; er begehrte keinen Aufschub, als das Opfer gebracht werden sollte. Und gerade deßhalb erwies sich die Barmherzigkeit ergiebiger, weil das Vertrauen hingebender war. Isaak hatte Recht, daß er nicht weinte über das Beginnen des Vaters: er war ja der Gegenstand freudigen Lachens bei seiner Mutter gewesen. Sie hatte einst in heiligem Jubel sich gefreut bei der Geburt des Knaben, und darum wurde jetzt, wo er sich selbst nicht weigerte, das Opfer zu sein, ein Widder an seine Stelle gesetzt: er S. 150 zweifelte nicht an Gottes Erbarmen, er war unbesorgt wegen seiner demüthigen Unterwerfung. Hier war nun aber bei Jephte Niemand, der den traurigen blutigen Entschluß des Vaters hinderte, weil Jeder des Versprechens Erfüllung heischte.
Ambrosius geht hier in Uebereinstimmung mit allen Vätern von der Voraussetzung aus, daß Jephte wirklich seine Tochter als Schlachtopfer Jehovah dargebracht habe. Schon Flavius Josephus hat dieselbe Ansicht; Antiq. V, 7, 10 sagt er von Jephte: „Μετὰ τοῦτον διελθόντα θύσας τὴν παῖδα ὡλοκαύτωσεν, οὔτε νόμικον οὔτε τῷ θεῷ κεχαρισμένην θυσίαν ἐπιτελῶν“ [Meta touton dielthonta thysas tēn paida hōlokautōsen, oute vomikon oute tō theō kecharismenēn thysian epitelōn]. Auch der chaldäische Paraphrast nimmt das blutige Opfer an, und die diese Auffassung gleichfalls begünstigende Tradition des Talmud ist herrschend geblieben und von jüdischen wie christlichen Theologen benützt, um daran die schlimmen Folgen eines unüberlegten Gelübdes zu exemplificiren. Erst im Mittelalter haben die Rabbiner, insbesondere R. David Kimchi und Levi ben Gerson versucht, den Nachweis zu erbringen, Jephte könne seine Tochter nicht geopfert haben. In der neueren Zeit scheint diese Ansicht mehr Raum zu gewinnen. Es ist auch in der That sicher, daß Jephte bereits bei Ablegung des Gelübdes an einen Menschen denken mußte; die Worte: „Und der Herausgehende, der herausgeht aus der Thüre meines Hauses mir entgegen, der soll dem Herrn gehören, und ich werde ihn zum Brandopfer darbringen“ schließen sicher nicht den Menschen aus. Augustinus bemerkt in dieser Beziehung Quaest. 49 in l. Jud.: „Non utique his verbis pecus alicquod vovit, quod secundum legem holocaustoma posset offerre. Neque enim est aut fuit consuetudinis ut redeuntibus cum victoria de bello ducibus pecora occurrerent. — Nec ait, quodcunque exierit de januis domus meae in obviam mihi, offeram illud holocaustoma, sed ait: „quicunque exieret, offeram eum,“ ubi procul dubio nihil aliud quam hominem cogitavit.“ An ein blutiges Menschenopfer kann aber Jephte nicht gedacht haben gegenüber dem klaren Wortlaute des Gesetzes, welches (Lev. 18, 21; 20, 2—5; Deut. 12, 31; 18, 10) Menschenopfer als Greuel vor Jehovah bei Todesstrafe verpönt. — Darnach wird die Ausführung des Gelübdes wohl so zu verstehen sein, daß Jephte seine Tochter in ewiger Jungfräulichkeit dem Herrn weihet. Das Verhalten der Tochter entspricht dem ganz. Sie beweint ihre Jungfrauschaft; denn nach der das ganze alte Testament durchziehenden Auffassung ruht der Fluch auf dem Geschlechte, das kinderlos bleibt; — es ist wie ein Baum, dessen Aeste fallen und dessen Wurzel vergeht. Es will uns nicht mit der ganzen Schilderung von Jephtes Auftreten zusammenpassen, was Ewald (Gesch. des Volk Isr. II, 557) sagt: „Furchtbar rächt sich am Vater und am Volkshaupte das unbesonnene Gelübde des in der Verwilderung aufgewachsenen Helden, dessen Gewissenhaftigkeit anders wohin zu leiten auch kein Levit oder sonstiger Weiser der Zeit aufsteht. Denn sichtbar meinen auch seine an die Verwilderung gewöhnten Zeitgenossen, das theure Opfer sei durch eine höhere Nothwendigkeit bestimmt gewesen, für die Sünden des Vaterlandes zu fallen. Durchdringt aber einmal dieser Glaube auch die Besten, so muß es als Seelengröße gelten, wenn der Muth nicht fehlt, dem gemäß zu handeln oder zu dulden.“ Gerade das bestreiten wir, daß die Verwilderung eine Höhe erreicht hätte, daß selbst die dem Jehovahdienste direct entgegenstehenden Greuel als vor Gott wohlgefällig erschienen wären. Zeigt doch die hier vorhergehende Verhandlung mit dem Ammoniterkönige volle Vertrautheit mit dem Pentateuch! ↩
