Text.
Innocentius, Bischof, (sendet) den Priestern und Diakonen, dem ganzen Klerus und dem S. 62 Volke der Kirche von Constantinopel, welch dem Bischofe Johannes (unterstehen), den geliebten Brüdern, (seinen) Gruß.
1. Aus dem Schreiben euerer Liebe, welches ihr durch den Priester Germanus und den Diakon Cassianus übersendet habt, lernte ich das Bild der Übel, welches ihr mir vor Augen gestellt, zu großer Besorgniß kennen und ersah aus der öfter wiederholten Lesung, durch welche Drangsale und Kämpfe der Glaube bedrückt werde. Eine solche Lage kann einzig der Trost der Ausdauer heilen; denn in kurzer Zeit wird unser Gott diesen so großen Trübsalen ein Ende setzen und wird es verdienstlich sein, sie ertragen zu haben. Diesen selben Trost, welcher am Anfange des Schreibens euerer Liebe enthalten ist, fanden wir, indem wir eueren Vorsatz preisen, durch viele Zeugnisse als zur Ausdauer vermögend. Unserem Troste nemlich, welchen wir euch senden sollten,1 seid ihr durch euer Schreiben zuvorgekommen. Denn diese Ausdauer pflegt unser Herr den Bedrängten zu verleihen, damit sie auch in den Trübsalen als Diener Christi sich selbst trösten, indem sie bei sich erwägen, daß, was sie selbst erleiden, früher auch den Heiligen widerfahren sei. Aber auch wir können aus euerem Schreiben selbst für uns Trost schöpfen; denn wir find nicht frei von Theilnahme an euerem Schmerze, da auch wir in euch getroffen werden.
2. Wer könnte es denn auch ertragen, was von Jenen gefrevelt wird, denen es geziemte, vor Allem nach Ruhe Friede und Eintracht zu streben? Nun aber werden umgekehrt schuldlose Priester von dem Sitze ihrer eigenen Kirchen vertrieben. Das aber hat zuerst unser Bruder und Mitdiener Johannes, euer Bischof, ungerecht erlitten, da er durchaus kein Gehör erlangte. Es wird weder ein Ver- S. 63 brechen anhängig gemacht noch untersucht; was aber für ein verruchtes Vorhaben ist das? Damit kein Schein einer Untersuchung gemacht oder verlangt werde, werden an die Stelle lebender Priester Andere eingesetzt, als ob Diejenigen, welche mit einem solchen Vergehen beginnen, von irgend Jemand für fähig gehalten werden könnten, je ein Recht zu besitzen oder ausgeübt zu haben. Auch haben wir nicht gehört, daß so Etwas je von unseren Vätern begangen vielmehr daß es verboten worden sei, daß es Jemand erlaubt sei, an die Stelle eines Lebenden einen Anderen zu ordiniren.2 Denn eine ungiltige Ordination kann die Würde des Priesters nicht entziehen, da Jener keinesfalls Bischof sein kann, welcher ungerecht an eines Andern Stelle eingesetzt wurde.
3. Was aber die Beobachtung der Canones betrifft, so erklären wir, daß bloß denen zu folgen sei, welche in Nicäa festgesetzt wurden, welche allein die katholische Kirche zu befolgen und anzuerkennen hat. Werden aber von Einigen andere vorgebracht, welche von den nicänischen Canones abweichen und nachweisbar von Häretikern3 stammen, so werden diese von den katholischen Bischöfen verworfen; denn was von Häretikern erfunden ist, darf den katholischen Canones nicht angereiht werden; denn sie wollen immer durch Entgegengesetztes und Ungesetzliches die nicänische Anordnung erschüttern. Wir bestimmen demnach, daß diese (Canones)nicht nur nicht zu befolgen, sondern vielmehr S. 64 zugleich mit den häretischen und schismatischen Lehren zu verdammen seien, wie es auch früher auf der sardicensischen Synode von unseren Vorgängern im Bischofsamte geschah.4 Denn eher könnte man das recht5 Geschehene verurtheilen als das gegen die Canones Verübte bekräftigen, theuerste Brüder!
4. Was aber sollen wir dagegen jetzt im Augenblicke unternehmen? Nothwendig ist das Erkenntniß einer Synode, deren Berufung wir schon längst für ein Bedürfniß erklärten; denn sie allein ist's, welche die Wogen solcher Stürme zur Ruhe bringen kann. Damit wir ihrer theilhaft werden, ist es nützlich, bis dahin die Heilung (des Übels) dem Rathschlusse des großen Gottes und Christi unseres Herrn selbst zu überlassen. Alles, was jetzt durch den Neid des Teufels zur Prüfung der Treuen in Verwirrung gebracht ist, wird wieder beigelegt werden. Nichts ist, was wir nicht durch die Festigkeit des Glaubens von dem Herrn erhoffen dürfen. Denn auch wir denken schon lange darüber nach, auf welche Weise die ökumenische Synode berufen werden solle, damit durch den Willen Gottes die stürmischen Wogen zur Ruhe kommen. Harren wir also aus eine Zeit lang, und durch die Mauer der Standhaftigkeit befestiget hoffen wir, daß durch die Hilfe unseres Gottes Alles wieder wird hergestellt werden. Alle euere Leiden aber, die ihr uns mittheiltet, haben wir schon früher von unseren Mitbischöfen, welche sich nach Rom, wenn auch größtentheils zu verschiedenen Zeiten, geflüchtet hatten, nemlich von Demetrius, Cyriakus, Eutysius und Palla- S. 65 dius, welche bei uns sind, durch genaue Erkundigung kennen gelernt.
Ἣν ἀφείλομεν ὑμῖν ἐπιστεῖλαι übersetzt Coustant unrichtig mit: quam vobis per litteras nostras debebamus. ↩
Duch den 4. Canon der sardicensischen Synode, durch welchen verboten wurde, einen anderen Bischof einzusetzen an die Stelle eines Angeklagten, wenn dieser appellirt und vom römischen Stuhle noc kein kein Endurtheil gefällt worden war. ↩
Damit ist abermals die antiochenische Synode v. J. 341 gemeint, weIcher zwar nicht lauter Häretiker beiwohten, wo jedoch gerade die Arianer den schon erwähnten Canon aufstellten, um den hI. Athanasius stürzen zu können, der auch jetzt gegen den hl. Chrysostomus Dienste leisten mußte. ↩
Zwar nicht durch einen eigenen Canon, aber factisch die Aufnahme und Wiedereinsetzung der von den Arianern ungerecht abgesetzten Bischöfe Athanasius, Marcellus u. A. ↩
Statt καλῶς möchte Coustant κακῶς oder οὐ καλῶς setzen, ich halte Dieß für überflüssig; auch so gelesen gibt der Satz einen guten Sinn. ↩
