Text.
1. Obwohl ich bezüglich des Frauenbildes,1 dessen Ruf wegen des unerhörten Vorganges in den Provinzen umhergieng, ja durch der Verleumder Zungen sich über die ganze Welt verbreitete, in einem anderen Schreiben dazu ermahnte, daß durch die Buße über eine solche That und durch die Unterlassung des Vorhabens das dagegen eifernde Gerede verstumme und die öffentliche Zunge Nichts an den Sitten der Zeiten zu tadeln finde; obwohl wir über den Untergang des verlorenen Illyrien2 gleichfalls mit aufrichtiger Gesinnung euch unseren Schmerz kundgaben, weßhalb ihr über solche Verluste des Staates uns in Unkenntniß lassen wolltet und uns Dieß durch ganz andere Nachrichten als durch das Schreiben euerer Liebe mitgetheilt wurde; so kann ich doch auch geziemender Weise Eurer Durchlaucht das nicht verheimlichen, was in göttlichen Angelegenheiten, nicht ohne Besorgniß für das öffentliche Wohl, neuestens geschehen, und was das Gerücht, die stets eilfertige Verkündigerin des Bösen, nicht verschwieg; bringt es ja die Natur der Menschen, welche durch stets neue Vorfälle zum Schmähen S. 67 angereizt wird, mit sich, daß sie bei sich darbietender Gelegenheit zum Tadel ihre Bosheit durch den Eifer unbändiger Geschwätzigkeit an der Zeit ausübt. Unlängst nemlich kam die Nachricht, daß in Constantinopel am hochheiligen Tage des ehrwürdigen Pascha, da die Religion fast alle Gemeinden der benachbarten Städte zu erhabenerer Feier in der Gegenwart der Herrscher an denselben Ort versammelte, plötzlich die katholischen Kirchen geschlossen, die Priester in Kerker geworfen wurden, so daß gerade zu der Zeit, wo durch die Gnade des Kaisers die düsteren Gefängnisse der Schuldigen sich öffnen3 die Diener des heiligen Gesetzes und des Friedens der schauerliche Kerker einschloß, daß wie in einem Kriege alle Geheimnisse zerstört, Einige im Heiligthume der Kirche selbst gemordet und um die Altäre mit solcher Gewalt gewüthet wurde, daß auch die ehrwürdigen Bischöfe in die Verbannung gestoßen und Menschenblut, was schon zu sagen eine Sünde ist, die himmlischen Geheimnisse übergoß. Über diese plötzliche Nachricht wurden wir, ich gestehe es, bestürzt. Wer sollte auch bei solch' einer blutigen Schandthat nicht die Beleidigung des allmächtigen Gottes fürchten? Oder wie könnte man das römische Reich und alle Sterblichen ausser der größten Gefahr wähnen, wenn man glaubt, daß der Urheber unseres Kaiserthums und des Reiches, welches er uns anvertraut hat, Gott der allmächtige Herrscher, durch so schauerliche und verabscheuungswürdige Verbrechen zürne, o heilige Herr Bruder und Neffe, ehrwürdige Kaiser? Handelte es sich um eine Angelegenheit der Religion unter den Bischöfen, so sollte auch das Gericht ein bischöfliches sein; denn ihnen steht die Erklärung der göttlichen Dinge zu, uns der Gehorsam in der Religion. Doch zugegeben, es mag sich bezüglich der heiligen und katholischen Fragen die S. 68 Fürstensorgfalt etwas mehr zu gute gehalten haben; mußte sich aber der Unwille bis zur Verbannung der Priester, bis zum Morden hinreissen lassen, so daß, wo keusche Gebete, reine Gelübde, unbefleckte Opfer dargebracht werden, dort das Schwert gezückt wird, welches nicht leicht auch gegen die Schuldigen sich kehren soll?
2. Durch die Thatsachen selbst zeigt es sich, wie hierüber die göttliche Majestät urtheile. Das erste Gericht war das des gegenwärtigen Erdbebens; und daß es doch das einzige (bliebe)! Denn die menschliche Furcht bringt es im Bewußtsein eines solchen Frevels mit sich, daß wir noch etwas Härteres, was der allmächtige Gott abwenden möge, nach den (ersten) Erfahrungen der erschrecklichen Strafe fürchten. Ich höre, daß die hochheilige Kirche, welche mit so vielen Kosten der Kaiser erbaut, reich an werthvollen Geräthen und durch so viele Gebete der Herrscher ehrwürdig gewesen ist, gebrannt habe und jenes einzige Licht der Stadt Constantinopel in Asche gesunken und, ohne daß Gott es hinderte, verbrannt sei — denn er scheint die befleckten Geheimnisse zu verabscheuen und seine Augen von jenem Orte abgewendet zu haben, welchen schon Blut besudelt hatte, damit Niemand unter blutigen Altären die himmlische Gnaden anflehen könne —; daß auch die herrlichen, in nicht minderer Pracht glänzenden Gebäude4 durch die rasche Bewegung der wüthenden Feuersbrunst von der immer sich weiter fortwälzenden Flamme verzehrt und so, was durch die Mühe unserer Vorfahren als Zierde der öffentlichen Strassen diente, wie bei einer Einäscherung der Stadt, vernichtet sei. S. 69
3. Obwohl ich, durch häufige Kränkungen beleidigt,5 Dieß mit Stillschweigen übergehen und meinen mir so nahe stehenden Bruder und Herrschergenossen nicht so aufrichtig hätte ermahnen sollen, so ermahne und rathe ich doch, die Bande des Blutes dem Stachel des stillen Schmerzes vorziehend, daß Dieß so viel als möglich durch zukünftige Besserung der Sitten gut gemacht und der göttliche Zorn, in so weit er in der That herausgefordert erscheint, durch unablässiges Gebet besänftiget werde. Empfanget von mir den höchsten Beweis der Einfalt. Deßhalb glaubte ich Dieß euerer Milde einschärfen zu müssen, damit mich nicht mein Stillschweigen bei irgend Jemand verdächtig mache, als ob ich im Geheimen dazu Glück wünschte, und Niemand glaube, daß ich solchen Handlungen zustimme, indem, nachdem ich oft davon abgemahnt habe, hernach, wenn es geschehen ist, ich nicht meinen Schmerz hierüber ausdrücke.
4. Wer könnte auch ohne Schmerz bleiben, der sich erinnert, daß er ein Christ sei, (wenn er sieht) daß plötzlich eine so große Verwirrung der Religion eingetreten sei, daß der ganze Bestand des katholischen Glaubens nothwendig in's Schwanken kommt? Es war eine Angelegenheit unter Bischöfen, die also nach ihrem gemeinschaftlich berathenen Beschluß hätte erledigt werden sollen. An die Bischöfe der ewigen Stadt und Italiens wurden von beiden Seiten Gesandte geschickt, von der Auctorität Aller wurde das Urtheil erwartet, welches die Ordnung der Disciplin herstellen sollte, denn es sollte (die Sache) unangetastet bleiben und keine Neuerung vorgenommen werden, so lange die Entscheidung berathen wurde —, als indeß ein ganz sonder- S. 70 barer vorschneller Eifer entbrannte, so daß, ohne auf Schreiben der durch die Gesandten beider Theile befragte Priester zu warten, ohne Prüfung der Angelegenheiten, die Bischöfe in die Verbannung gestoßen wurden und früher die Strafe erlitten, als sie das Urtheil des bischöflichen Gerichtes erfuhren. Wie übereilt endlich jene Verurtheilung gewesen sei, bewies der Erfolg. Denn Jene, deren Ausspruch erwartet wurde, erklärten, nachdem sie dem Bischofe Johannes die friedliche Gemeinschaft gewährt hatten, daß die Eintracht heilig zu halten sei, und waren der Ansicht, daß vor dem Urtheile Niemand aus der Gemeinschaft ausgewiesen werden dürfe.
5. Was Anderes bleibt nun (zu erwarten) übrig, als daß die nach verschiedenen Seiten gespaltenen Schismen den katholischen Glauben zerreissen, als daß aus der Mannigfaltigkeit der Ereignisse Häresien, die immerwährenden Feinde der Gemeinschaft, entstehen, so daß es nicht mehr dem Volke zur Schuld gerechnet werden darf, wenn es etwa in verschiedene Parteien und Seiten sich spaltet, da ja von der öffentlichen Auctorität der Same der Zwietracht gesäet und der Ausstand genährt und begünstigt wurde? Damit Dieß nicht zu irgend einem großen Verderben des Menschenschlechtes gereiche, ist zu bitten, daß Gott in seiner Nachsicht mit den menschlichen Fehlern das geschehene Übel glücklich und gedeihlich gestalten möge. Denn soweit es uns angeht, können wir fürchten, was geschehen ist, in Be-zug auf die Güte des allezeit barmherzigen Gottes wird es nicht als eine der Schuld gewährte Straflosigkeit erscheinen, sondern als Gnade.
Der Statue, nämlichh der Kaiserin; siehe oben S. 45, Note 1 im 4. Briefe. ↩
Schon im J. 397 wurde der Gothenfürst Alarich von Arkadius zum Comes in der illyrischen Präfectur ernannt; 403 erlangte er dieselbe Stellung für das westliche Illyrien, zur gößten Gefahr für beide Reichshälften. ↩
Nach einem Gesetze des Kaisers Theodosius wurden am Ostertage die Gefängnisse allen Verurtheilten mit Ausnahme der alIerschwersten Verbrecher geöffnet. ↩
Aedificia divina, d. i. das weitläufige Senatsgebäude, welches nach Palladius‘ Berichte trotz seiner weiten Entfernung durch die die Masse des Volkes überspringende Flamme verzehrt wurde; Sokrates berichtet über diese furchtbare Feuersbrunst, welche in Constantinopel am 20. Juni 404 wüthete, 1. VI. c. 18. ↩
Das Verhältniß der beiden Bruder und jugendlichen Kaiser zu einander war ein keineswegs freundliches und wurde durch die gegenseitigen Intrignen ihrer Rathgeber, des Galliers Rufinus (für Arkadius) und des Vandalen Stilicho (für Honorius) immer unleidlicher und für das ganze Reich verderblicher. ↩
