1.
Geliebteste! Schon oft haben wir euch, wie ihr wißt, mit erbaulicher Predigt über die Erhabenheit des heutigen Festes gedient. Auch zweifeln wir nicht, daß die Kraft der göttlichen Liebe euere Herzen so erleuchtete, daß ihr das, was euch durch den Glauben eingepflanzt ist, auch mit dem Verstande erfaßt habt. Allein die Geburt unseres Herrn und Erlösers übersteigt hinsichtlich der vom Vater stammenden göttlichen Wesenheit wie des von der Mutter angenommenen Fleisches so sehr das Vermögen menschlicher Sprache, daß jener Ausspruch: „Wer wird seine Geburt erzählen?“1 mit Recht für beide Naturen gilt. Darum gebietet gerade die Tatsache, daß seine Menschwerdung nicht gebührende Erklärung finden kann, Grund genug, immer wieder davon zu sprechen, nicht als ob es uns freistünde, verschiedene Meinungen zu haben, sondern weil keine Worte der Würde dieses Stoffes gerecht werden können. Jenes große Geheimnis, das zur Erlösung des Menschengeschlechts vor ewigen Zeiten festgesetzt und am Ende der Zeiten enthüllt wurde, gestattet es nicht, seiner S. 137Unveränderlichkeit etwas zu nehmen oder hinzuzufügen. Wie es nicht verliert, was ihm eigen ist, so nimmt es auch nicht auf, was ihm fremd ist. Allein viele, die nur zu gern ihrem eigenen Kopfe folgen, die das, was sie selbst noch nicht erfaßten, eher lehren als lernen wollen, „haben“ nach den Worten des Apostels, „im Glauben Schiffbruch gelitten“2 . Ihre verkehrten, sich gegenseitig bekämpfenden Lehrsätze will ich in wenigen Andeutungen kurz besprechen, damit die Finsternis des Irrglaubens vor dem Lichte der Wahrheit weiche und die Gnadengaben Gottes fromme Verehrung, die Lügen der Menschen aber3 sachkundige Zurückweisung finden.
