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Geliebteste! Um unser Wort einzulösen, wollen wir euch mit dem Beistande des Herrn die versprochene Fortsetzung unserer Predigt über sein Leiden und Sterben geben. Sicherlich werdet ihr mich dabei durch euere Gebete unterstützen; denn euch allen frommt es, wenn ihr an mir einen treubesorgten Hirten habt. Stellen wir doch die ganze uns verliehene Kraft in den Dienst euerer Erbauung. Der Erlöser der Welt war also durch den verruchten und verabscheuungswürdigen Handel des Judas seinen Verfolgern, den Juden, ausgeliefert worden. Unter gotteslästerlichen Hohnreden hatte man ihn, die verkörperte Sanftmut, zur Richtstätte geführt. Und dann kreuzigte man mit ihm zwei Räuber, indem auf beiden Seiten Schandpfähle errichtet wurden. Von diesen Räubern wird plötzlich der eine zum Bekenner Christi, obwohl er bis S. 274zu diesem Augenblick seinem Genossen in allem glich, und er ein Wegelagerer und gewohnheitsmäßiger Mörder war und die Strafe des Kreuzes wohl verdiente. Mitten unter den furchtbaren und körperlichen und seelischen Qualen, die durch des Todes Pein und Nähe noch gesteigert wurden,rief er, durch ein Wunder bekehrt und umgewandelt: „Herr, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst“!1 . Auf wessen Mahnung ist ein solcher Glaube zurückzuführen? Wer hat ihn gelehrt, welcher Prediger ihn entzündet? Jener Räuber hatte nicht die früher gewirkten Wunder gesehen, auch wurden jetzt keine Kranken mehr geheilt2 , keine Blinden mehr sehend gemacht3 , und keine Toten mehr zum Leben auferweckt4 .. Auch gehörte noch der Zukunft an, was bald geschehen sollte5 . Und doch bekennt er den als Herrn und König, den er die gleiche Strafe erleiden sieht. Diese Gnade ging eben von dem aus, der auf jenen Glauben auch die Antwort gab; denn Jesus sprach zu ihm:„Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“6 . Eine solche Verheißung übersteigt das Vermögen eines7 Menschen. Aus ihr spricht nicht so sehr der Gekreuzigte als vielmehr jener, der in Macht und Herrlichkeit thront. Von jenem hohen Throne aus, auf dem der Schuldbrief des Menschen getilgt wird, erhält auch der Glaube8 seinen Lohn. Ist ja die göttliche Natur des Herrn nicht von der knechtischen geschieden, indem selbst inmitten der Todesqualen sowohl die „unverletzbare Gottheit“ als auch der „leidensfähige Mensch“ Eigenart und Einheit wahrten.
