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Geliebteste! Pflicht der Christen ist es, zu allen Zeiten Gottes Werke zu bewundern und als vernunftbegabte Wesen sich namentlich mit solchen Gedanken zu beschäftigen, durch die ihr Glaube vertieft wird. Wenn sich nämlich der Fromme all die Wohltaten des Herrn oder einzelne seiner Gnadengeschenke vergegenwärtigt, streift er viel Eitles von sich ab und zieht er sich gewisermaßen von dem Hasten und Treiben der Welt in das Heiligtum des Geistes zurück. Noch eifriger und fleißiger müssen wir nun während der Leidenstage Christi darnach streben, die aus der Heiligen Schrift verlesenen Abschnitte richtig zu verstehen und die ergreifenden Worte dieser Berichte durch Erfassung ihres tieferen Sinnes noch mehr auf uns wirken zu lassen. Aus dem Grunde aber sollen wir vor allem unser Herz zum Himmel erheben, weil schon die Propheten die Ereignisse, von denen uns das untrügliche Evangelium erzählte, geschildert haben, und zwar so, als ob sie schon eingetreten wären und nicht erst der Zukunft angehörten. So spricht also der Heilige Geist S. 353von Dingen, von deren künftiger Verwirklichung des Menschen Ohr noch nichts vernommen hatte, als wären sie bereits vollbracht. Der König David, dessen Nachkomme Christus seiner menschlichen Natur nach ist, und der mehr als elfhundert Jahre vor dem Kreuzestod des Herrn lebte, hat z.B. nichts von dem erduldet, was er nach seinen Worten erlitten haben müßte1 . Allein durch Davids Mund redete eben jener, der aus seinem Geschlechte seinen leidensfähigen Leib annehmen wollte. Mit Recht wird demnach der Kreuzweg des Herrn an der Person dessen im voraus gezeigt, der des Erlösers Ahnherr war2 . Hat doch David wirklich in Christus gelitten, weil auch Jesus wirklich im Fleische Davids gekreuzigt wurde.
