1.
S. 75Laßt uns frohlocken, Geliebteste; denn heute ist uns der Heiland geboren! Darf doch dort keine Trauer aufkommen, wo das Leben selbst zur Welt kommt, das die Furcht vor dem Tode benimmt und uns durch die Verheißung ewigen Lebens mit Freude erfüllt. Niemand wird von der Teilnahme an dieser Jubelfeier ausgeschlossen, alle haben den gleichen Grund, in festlicher Stimmung zu sein; denn da unser Herr, der die Sünde und den Tod vernichtet, niemand findet, der ohne Schuld ist, so kommt er, um alle zu befreien. Es jauchze der Heilige, weil er sich der Siegespalme naht; es frohlocke der Sünder, weil ihm Verzeihung winkt, und neuer Mut belebe den Heiden, weil ihn das Leben ruft! Denn nachdem sich die Zeit erfüllt, welche die unerforschliche Tiefe des göttlichen Ratschlusses dazu bestimmte, nahm der Sohn Gottes die Natur des Menschengeschlechtes an, das wieder mit seinem Schöpfer versöhnt werden sollte, damit der Teufel, der den Tod in die Welt gebracht ,gerade durch die menschliche Natur, die er bezwungen hatte ,wieder bezwungen würde. In diesem für uns unternommenen Kampfe wurde der Streit nach dem erhabenen und bewunderungswürdigen Grundsatz der Gleichheit geführt, indem sich der allmächtige Herr mit dem so wütenden Feinde nicht in seiner Majestät, sondern in unserer Niedrigkeit mißt. Er stellt ihm den gleichen Leib entgegen und die gleiche Natur, die zwar wie die S. 76unsrige sterblich, aber frei von jeder Sünde ist. Gilt doch von seiner Geburt nicht, was von der aller zu lesen steht: „Niemand ist rein von dem Schmutze der Sünde, nicht einmal das Kind, dessen Lebenshauch nur einen Tag auf Erden währt“1 .
Keinerlei Makel ist auf diese Geburt, die nicht ihresgleichen hat, von der Begierlichkeit des Fleisches übergegangen, keinerlei Schuld von dem Gesetze der Sünde auf sie entfallen. Eine königliche Jungfrau aus dem Stamme Davids wird dazu auserwählt, die heilige Frucht in sich aufzunehmen und Gottes und der Menschen Sohn zunächst im Geiste und dann in ihrem Schoße zu empfangen. Und damit sie nicht, unbekannt mit dem himmlischen Ratschlusse, über eine so ungewöhnliche Wirkung erschrecke, erfährt sie durch die Unterredung mit dem Engel, was in ihr der Heilige Geist wirken sollte. Auch glaubt die nicht an Verlust der Jungfräulichkeit, die bestimmt ist, bald „Gottesgebärerin“ zu werden. Denn warum hätte sie in diese neue Art der Empfängnis Zweifel setzen sollen, da ihr die Macht des Allerhöchsten dies zu vollbringen verspricht? Gestärkt wird ihr gläubiges Vertrauen auch noch durch das Zeugnis eines vorausgehenden Wunders: Der Elisabeth, die nicht mehr darauf hoffen konnte, wird Kindersegen verliehen2 , damit man nicht daran zweifle, daß derjenige, der einer Unfruchtbaren die Kraft zu empfangen gegeben hatte, auch eine Jungfrau empfangen lassen würde.
