10. Kap. Die Gnostiker geben vor, das von Christus geforderte Bekenntnis brauche erst im Himmel und vor den Himmelsmenschen zu geschehen. Sachliche und ironische Widerlegung dieser Torheit.
Wollte man dagegen glauben, das geforderte Bekenntnis habe nicht hier, d. h. nicht innerhalb des Umkreises dieser Erde, nicht innerhalb der Frist dieses Lebens und nicht vor Menschen von dieser unserer gewöhnlichen Beschaffenheit zu geschehen, wie sehr wäre nicht eine solche Annahme gegen die gesamte Ordnung der Dinge, die wir auf dieser Erde, in diesem Leben und vor den menschlichen Mächten zu erfahren S. 212haben?! Nämlich1 erst wenn die Seelen aus den Leibern herausgegangen sind, und erst wenn man angefangen hat, durch die einzelnen Stockwerke des Himmels hindurch, sie einer Untersuchung in Betreff der Aufnahme2 in das jedesmalige Stockwerk und einem Verhör über die geheimen Lehren der Häretiker zu unterziehen, dann erst hat das Bekenntnis stattzufinden, vor den richtigen Mächten und den wirklichen Menschen, den Vollkommenen, Unwandelbaren und Unbescholtenen des Valentinus3. Denn Wesen wie wir sind, behaupten sie, habe nicht einmal der Demiurg konstant als Menschen gelten lassen, sondern sie wie den Tropfen am Eimer, den Staub auf der Tenne, wie Auswurf oder wie Heuschrecken angesehen und sie sogar dem unvernünftigen Vieh gleichgestellt. Allerdings kommen solche Ausdrücke in der Hl. Schrift vor. Darum darf man aber kein zweites Menschengeschlecht neben uns annehmen, sondern die Schrift konnte uns, eben weil unsere menschliche Existenz feststeht, ganz gut in einen Vergleich stellen, unbeschadet dessen, daß wir eine eigene und für sich bestehende Art sind. Wenn auch der Lebenswandel so der Befleckung verfallen ist, daß er der Verachtung preisgegeben und mit verächtlichen Dingen verglichen werden kann, so ist doch damit noch nicht gleich die Natur aufgehoben, so daß man bei ihrem Namen an eine andere denken dürfte. Im Gegenteil, die Natur bleibt, wenn auch die Lebensweise eine beschämende ist, und Christus weiß von keinen andern Menschen, als die sind, von denen er sagt: "Was sagen die Menschen, wer ich sei?" Und "wie ihr wollt, daß euch die Menschen tun, so tut ihnen auch!4 Da siehe nun, ob für ihn die Gattung von Wesen, von welchen S. 213er ein Zeugnis für sich erwartet, und gegen welche er wechselseitige Gerechtigkeit befiehlt, dieselbe sei. Wollte ich aber einmal verlangen, jene Himmelsmenschen zu sehen, so würde mir Aratus eher die Sternbilder: Perseus, Kepheus, Erigona und Ariadne abzeichnen.
Was aber hätte den Herrn hindern können, deutlich zu bestimmen, daß auch das Bekenntnis der Menschen dort abzulegen sei, wo, nach seiner offenen Erklärung, sein eigenes Bekenntnis in der Zukunft stattfinden wird, so daß er folgendermaßen gesagt hätte: "Wer in mir bekennet vor den Menschen im Himmel, den werde auch ich vor meinem Vater bekennen, der im Himmel ist." Er hätte die Pflicht gehabt, mich vor der irrtümlichen Annahme eines Bekenntnisses hier auf Erden zu bewahren, dessen Ablegung er nicht gewollt hätte, wenn er ein solches im Himmel zur Vorschrift gemacht hätte. Mir waren ja keine andern Menschen bekannt als die Bewohner der Erde, ja er selbst, der bis dahin einzige himmlische Mensch, war nicht einmal voll und ganz erkannt5. Wie unglaublich ist es ferner, daß ich, nach meinem Tode in den Himmel erhoben, dort einer Probe unterworfen werde, da ich ungeprüft doch gar nicht dorthin versetzt werden kann. Ich soll dort über die Aufnahme examiniert werden, wohin ich, wenn ich der Zulassung unwürdig bin, gar nicht kommen konnte?! Der Himmel steht dem Christen eher offen als der Weg dazu, da es ja zum Himmel keinen Weg gibt als nur für den, dem der Himmel schon offen steht. Wer bis zu ihm S. 214hin gelangt ist, der wird Einlaß erhalten. Welche Türgottheiten soll ich, entsprechend dem Aberglauben der Römer, dort zu finden erwarten? Etwa Carnus, Forculus und Limentinus? Welche Mächte willst du an den Toren aufstellen? Wenn du jemals bei David gelesen hast: "Öffnet eure Tore, ihr Fürsten; es mögen sich auftun die ewigen Tore und es wird eintreten der König der Herrlichkeit"6, und wenn du von Amos vernommen hast: "Er baut im Himmel seinen Aufgang und gießt seinen Ausfluß über die Erde"7, so magst du wissen, jener Aufgang ist seitdem geebnet - durch die Fußstapfen des Herrn, jener Eingang von der Zeit an aufgeriegelt - durch die Kraft Christi, und es tritt uns Christen an jener Schwelle kein Aufenthalt und kein Fragesteller entgegen, da wir dort nicht mehr untersucht, sondern anerkannt, nicht verhört, sondern zugelassen werden müssen. Und wenn du etwa glauben solltest, der Himmel sei auch jetzt noch verschlossen, so erinnere dich, daß der Herr die Schlüssel dazu hienieden dem Petrus und durch ihn der Kirche hinterlassen hat, und jeder, der hier8 verhört ist und bekannt hat, wird sie mit sich nehmen.
Allein der Teufel bleibt dabei, man müsse jenseits ein Bekenntnis ablegen, um uns zu bereden, daß wir hienieden verleugnen. Da werde ich mir wahrhaftig als; schönes Empfehlungsschreiben vorausschicken und als herrliche Schlüssel mitbringen die Furcht vor denen, welche bloß den Leib töten, der Seele aber nicht schaden können! Da werde ich mich durch Nichtbefolgung obiger Vorschrift bestens empfohlen haben! Da werde ich, der ich auf Erden nicht standhalten konnte, einen Ehrenplatz in den himmlischen Gefilden bekommen! Da werde ich den größeren Mächten Trotz bieten, nachdem ich vor den kleineren zurückgewichen bin! Ich werde mit einem Worte mir die Zulassung verdienen, obwohl ich schon ausgeschlossen bin. Es fehlte bloß noch, daß man sagte: Wenn das Bekenntnis erst im Himmel geschehen S. 215muß, dann ist hienieden das Ableugnen notwendig. Denn wohin das eine davon gehört, dahin gehört beides. Gegensätze laufen ja immer nebeneinander her. Es wird dann notwendigerweise auch eine Verfolgung im Himmel angestellt werden müssen, welche zum Bekennen oder Verleugnen Gelegenheit darbietet. Was zögerst du daher, verwegener Häretiker, das Geschäft der Einschüchterung der Christen in seiner ganzen Ausdehnung in den Himmel zu übertragen und vor allem den Haß gegen das Christentum dorthin zu verpflanzen, wo Christus zur Rechten des Vaters sitzet? Dahin versetze auch die Synagogen der Juden, diese Ausgangspunkte der Verfolgungen9, vor welchen die Apostel gegeißelt worden sind; dahin die heidnischen Völker, jedes mit seinem Zirkus, wo sie so gern schreien: Wo bleibt denn das dritte Geschlecht?10 Auch unsere Brüder, Väter, Kinder, Schwiegersöhne und Töchter und unsere Hausgenossen, welchen der Verrat zugewiesen ist, müßt ihr uns dort zeigen; ebenso die Könige, die Präsidenten und die bewaffnete Macht, vor welchen die Sache auszukämpfen ist. Es gibt dann sicher im Himmel auch ein Gefängnis, welches der Sonne entbehrt oder sich nur ungern erleuchtet sieht; die Fesseln sind vielleicht aus den Himmelszonen gemacht und als Equuleus11 dient der Pol, der sie dreht. Soll der Christ gesteinigt werden, so wird man dort den Hagel haben; soll er verbrannt werden, so sind die Blitze bei der Hand; soll er durchbohrt werden, so wird S. 216die Hand des bewaffneten Orion tätig sein; sollen ihm Bestien den Garaus machen, so wird der Norden den Bären loslassen, der Tierkreis die Stiere und Löwen. Wer das aushält bis zum Ende, der wird gerettet werden. Also wird es auch ein Ende im Himmel geben, sowie Leiden, Tod und erstes Bekenntnis! Aber wo wird dann das Fleisch sein, das zu allen diesen Dingen doch so notwendig ist? Wo der Leib, der ja allein nur von dem Menschen getötet werden kann?12
Das sind allerdings Scherze, aber wir haben auch Grund genug, sie zu machen, und niemand wird uns die Einrede als sperrenden Riegel vorhalten können, er sei doch nicht in die Notwendigkeit versetzt, alles, was bei den Verfolgungen vorkommt, die ganze Prozeßführung, die gesetzmäßige Form und die sämtlichen Zurüstungen bei denselben dahin zu versetzen, wo er das Forum für das Bekennen hinverlegt habe. Denn das Bekennen ist ja ein Ergebnis, wird durch die Verfolgung herbeigeführt, die Verfolgung endigt mit dem Bekenntnis, und es ist unausbleiblich, daß das, was den Eingang und Ausgang, d. h. den Anfang und das Ende ausmacht, zusammen erfolge. Nun findet sich aber der Haß gegen das Christentum gerade hienieden, hienieden bricht die Verfolgung aus, hienieden stellt die Anzeige uns vor das Tribunal, hienieden setzt das Verhör uns zu, hienieden wütet die Folter; all diese Vorgänge hier auf Erden kommen aber zum Abschluß, entweder im Bekenntnis oder in der Ableugnung. Wenn sich also alles übrige hier abspielt, so wird wohl auch das Bekenntnis nicht anderswo stattfinden; wenn aber das Bekenntnis anderswo vor sich geht, dann auch alles übrige. Nun findet aber das übrige nirgendwo anders statt, folglich geschieht auch das Bekennen nicht erst im Himmel. Wenn sie aber willkürlich annehmen, das Verhör und Bekennen im Himmel sei von anderer Art, so werden sie auch, einen ihm eigenartigen Verlauf aufstellen müssen, und S. 217dieser wird dann ein ganz anderer und von dem jetzigen Verfahren, wie es sich in der Hl. Schrift angegeben findet, verschiedener sein. Und nun können wir sagen: Mögen sie sehen, wie sie zurechtkommen, da dieser13 Verlauf des Verhörs und Bekenntnisses auf Erden, wie es aus Anlaß der Verfolgung und öffentlichen Abneigung hervorgeht, für den Glauben, der sich nach ihr (der Hl. Schrift) richtet14, vollständig sichergestellt ist, so daß man es so zu glauben hat, wie es in der Schrift steht, und es so verstehen muß, wie es ihrem Wortlaut entspricht. Hienieden erwarte ich den ganzen Verlauf der Sache, da der Herr selbst keine andere Weltregion dafür anweist. Denn warum fügt er nach der Bestimmung über Bekennen und Verleugnen hinzu: "Glaubet nicht, daß ich gekommen sei, um den Frieden auf die Erde zu bringen, sondern das Schwert", natürlich auf die Erde. "Denn ich bin gekommen, um den Menschen zu scheiden von seinem Vater, die Tochter von ihrer Mutter, die Schnur von ihrer Schwiegermutter, und die Hausgenossen der Menschen werden seine Feinde sein." So nämlich wird bewirkt, "daß der Bruder den Bruder zum Tode ausliefert und der Vater den Sohn, Kinder sich gegen ihre Eltern erheben und ihren Tod bewirken, und wer aber bis zum Ende ausharret, der mag gerettet werden"15. Die ganze Aufgabe also, welche das Schwert des Herrn hat, vollzieht sich hier; es ist nicht in den Himmel gebracht worden, sondern auf die Erde; somit hat eben dahin Christus auch das Bekennen verlegt, jenes Bekennen, das, wenn es bis zum Ende ausharret, den Tod erleiden wird. S. 218
Der Satz ist im Sinne der Gnostiker gesprochen, die der Pflicht des Bekenntnisses auf Erden durch diese Ausflucht entrinnen wollten. ↩
Der Agob. hat respecto, was offenbar falsch ist. Wissowa folgt der Konjektur receptu des Latinius. Zum Gedanken vgl. adv. Valent. cap. 7,23 u. 30 ff. ↩
τέλειοι, ἀκίνητοι, ἀβάσκαντοι, waren die Ausdrücke des Valentinus. ↩
Matth. 14, 13; 7, 12. Luk. 6, 31. ↩
Ne ipso quidem adhuc tunc in caelis homine conspecto. Vor in sind im Agob. einige Buchstaben ausgefallen; vielleicht ist zu ergänzen „unico“. Jedenfalls ist die Übersetzung: „und den Menschen, wie er im Himmel sein wird, hatte man damals noch nicht gesehen“ ganz verfehlt. Unter „ipso ... in caelis homine“ ist Christus zu verstehen. T. denkt an 1 Kor. 15, 47: secundus homo de caelo, caelestis ... et qualis caeletis, tales et caelestes. Als Christus die in Frage stehende Stelle aussprach, war er der einzige homo caelestis, aber als solcher noch nicht einmal vollkommen erkannt; vgl. de carne Chr. 8; de res. carnis 49; „conspicere“ heißt „durch und durch erkennen“ vgl. de cultu fem. II, 13: Deus conspector est cordis; ad nat. II, 7. ↩
Ps. 24, 7. ↩
Amos 9, 6, wo die Vulgata funiculus (Seil, Tau) hat. ↩
auf Erden. ↩
„Fontes persecutionum“. T. denkt hierbei nicht an die Juden in der Diaspora, sondern der Ausdruck besagt nur, daß die ersten Verfolgungen von den Juden (in Palästina) ausgingen. Man darf daher aus dem Ausdruck nicht folgern, er klage die Juden in der Diaspora an, die Haupturheber der Christenverfolgung zu sein. ↩
Die Benennung der Christen als „tertium genus“ war also in Karthago geläufig. Vgl. hierzu ad nat. I, 8 u. I, 20. Nach I, 8 (72/21): sed de superstitione tertium genus deputamur, non de natione, ut sint Romani, Judaei, dehinc Christiani, bezog sich die Bezeichnung vor allem auf die religiöse Eigenart, die Gottesvorstellung und Gottesverehrung. Vgl. zu dieser Bezeichnung Harnack, Mission und Ausbreitung des Christent. 177 ff. u. 197 ff. ↩
Ein Folter-Instrument, der sogenannte Eselsrücken. ↩
Tertullian stellt diese Frage, weil die Gnostiker die Auferstehung des Fleisches leugneten, und weil er kein Leiden der Seele ohne den Körper annimmt. In Bezug auf letzteren Punkt hat er aber nicht immer einheitlich gesprochen. ↩
jener Verlauf nämlich, wie ihn die Hl.Schrift aufgezeichnet hat. Der Satz knüpft auf das engste an den vorhergehenden an. ↩
omnio (so liest die Wiener Ausgabe statt: „in nomen“, das von discordiae publicae abhängig wäre) salvus sit suae fidei, ut ita credendum sit, sicut et scribitur etc. Die Wiener Ausgabe will statt des „suae fidei“ der Handschriften lesen: salvus sit, sua e fide ut ita credendum sit. Der Sinn bleibt derselbe und notwendig ist die Änderung nicht; „sua fidei“ ist der Glaube an die Hl. Schrift. (Vgl. Hoppe 102 f.) ↩
Matth. 10, 34 f.; 10, 21 f. ↩
