7. Kap. Man darf also nicht mit den Gnostikern sagen: wenn Gott das Martyrium will, so ist er ein Mörder. Denn der Märtyrertod gibt der Seele das Leben.
Will der Skorpion noch weiter vordringen und Gott einen Menschenmörder schelten, so werde ich mich wahrhaftig entsetzen über diesen scheußlichen, gotteslästerlichen Gestank, der aus dem Munde der Häretiker hervorgeht. Doch ich werde mir auch einen solchen Gott gefallen lassen, im Vertrauen auf jene Vernunft1, in der er in der Person seiner Sophia, durch den Mund Salomos, sich selbst einen noch schlimmeren Namen als „Menschenmörder“ beilegt. „Die Sophia“, sagt er, „hat ihre Kinder erwürgt“2. Sophia ist die Weisheit. Er hat sie also mit Weisheit erwürgt, weil zum Leben, und von der Vernunft geleitet, weil zur Herrlichkeit. Das ist ein weisheitsvoller Kindesmord, ein kunstvolles Verbrechen, eine bewunderungswürdige Grausamkeit3; sie tötet, damit der Getötete nicht sterbe! Und darum, was folgt darauf? „Der Weisheit singt man auf den Ausgängen Hymnen“4. Es wird nämlich auch der Ausgang der Märtyrer besungen. Die Sophia ist geschäftig auf den Gassen in der Sache der Standhaftigkeit5; zu S. 203einem guten Zwecke erwürgt sie ihre Söhne. Höher als auf die höchsten Mauern vertrauend6, spricht sie, wenn z. B. bei Isaias der eine ausruft: „Ich bin Gottes“ und der andere laut ruft „im Namen Jakobs“ und ein anderer schriftlich erklärt7 „Im Namen Israels“8. O gute Mutter! Auch ich hoffe noch zu ihren Söhnen zu gehören und von ihr getötet zu werden. Auch ich wünsche zu sterben, um ihr Sohn zu werden.
Bringt sie nun ihre Kinder einfach um, oder martert sie dieselben auch? Ich höre Gott nämlich an einer andern Stelle den Ausspruch tun: „Ich will sie brennen, wie Gold in Feuer geglüht, und sie prüfen, wie Silber geprüft wird“9. Natürlich durch die Marter des Feuers und der Hinrichtung und durch die Martyrien, welche den Glauben erproben. Auch der Apostel weiß sehr gut, was er für eine Beschreibung von Gott gibt, wenn er sagt: „Wenn Gott seines eingeborenen Sohnes nicht geschonet, sondern ihn für uns dahingegeben hat, wie sollte er nicht mit ihm uns alles geschenkt haben?“10 Da siehst du, wie die göttliche Sophia ihren erstgeborenen und eingeborenen Sohn erwürgt hat, sicher damit er siege und die übrigen zum Leben zurückbringe. Ich kann mit der Sophia Gottes sagen: Christus ist es, der sich hingegeben hat für unsere Fehltritte. Sich selbst sogar hat die Sophia gemordet. Worte besitzen ihren geistigen Inhalt nicht bloß im Wortklang, sondern auch im Sinn11, und sind nicht bloß mit dem Ohre aufzufassen, sondern auch mit dem Geiste. Wer nicht versteht, daß Gott grausam ist, der glaube es. Auch für den, der es nicht versteht, findet sich ein Spruch, wodurch der Verwegenheit, die Sache anders zu verstehen, gesteuert S. 204wird: „Wer“, heißt es, „hat den Sinn des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen, daß er ihn belehrte? Oder wer hat ihm den Weg der Erkenntnis gezeigt?“12 Der Diana der Skythen, dem Merkur der Gallier und dem Saturn der Afrikaner war es in der Heidenwelt vergönnt, sich durch Menschenopfer versöhnen zu lassen; dem latinischen Jupiter zu Ehren wird noch heute mitten in Rom Menschenblut vergossen13, und niemand hat dabei Bedenken oder nimmt an, es geschehe ohne Grund oder der Wille seines Gottes sei nicht hoch zu schätzen. Wenn nun auch unser Gott als ein Opfer im eigentlichen Sinne des Wortes Martyrien verlangt hätte, wer hätte ihm dann vorgeworfen, seine Religion sei eine blutbefleckte, seine Riten jammervoll, sein Altar ein Scheiterhaufen, sein Priester ein Leichenbitter; wer hätte nicht vielmehr den für selig gehalten, der von Gott verzehrt worden wäre?!14
de fiducia rationis ... qua ratione etc. Gemeint ist die göttliche ratio, der göttliche Logos, der mit der Sophia identisch ist. Vgl. adv. Prax. 6. ↩
Eine solche Bibelstelle gibt es nicht. Sprichw. 9, 2 liest die Vulg. immolavit victimas suas. Da aber T. den Vers 1, 20 mit „et ideo quid sequitur ?“ anführt, so muß er obigen Satz im 1. Kapitel der Sprüche gelesen haben. ↩
argumentum crudelitais; argumentum steht öfters bei T. = eine weisheitsvoll ausgedachte und deshalb bewunderungswürdige, ruhmvolle Sache; vgl. Oehler I, 24. ↩
Spr. 1, 20. ↩
Vgl. Spr. 1,20 nach LXX: σοφία ἐν ἐξόδοις ὑμνεῖται ἐν δὲ πλατείαις παρρησίαν ἄγει. „Agit de constantia“ will sagen: Sie ist geschäftig, um die Standhaftigkeit zu bewirken, und sie bewirkt sie dadurch, daß sie ihre Kinder zum Martertod beseelt. ↩
Super summos autem muros confisa dicit; der griech. Text hat: ἐπ᾿ ἄκρων δὲ τειχέων κηρύσσεται. ↩
„inscribit“ = schriftlich erklärt, was mehr bedeutet als eine bloß mündliche Erklärung. ↩
Is. 44, 5. ↩
Zach. 13, 19. ↩
Röm. 8, 32. ↩
T. will sagen: Worte, vor allem göttliche Worte, haben oft einen über den Wortsinn liegenden höheren Sinn; so auch das angebliche Schriftwort: Sophia iugulavit filios suos. ↩
Röm. 11, 33. ↩
Vgl. Apolog. 9. ↩
Der Satz ist irrealer Bedingungssatz und ironisch. Gott verlangt tatsächlich keine Menschenopfer, wie die heidnischen Götter. Der Satz darf deshalb nicht übersetzt werden: „Fordert nun unser Gott ebenfalls als ein ihm eigenes Opfer Martyrien“; propriae hostiae nomine ist = als Menschenopfer im eigentlichen Sinne. ↩
