Kap. 30. Wer aber statt dessen auch noch eines hoffärtigen und weltlichen Leben zu huldigen wagt, der häuft dadurch nur noch größere Schuld auf sich.
Glauben wir, daß der von ganzem Herzen jammert und mit Fasten, Weinen und Wehklagen den Herrn anfleht, der vom ersten Tage seines Vergehens an tagtäglich die Bäder besucht, der lieber an üppiger Tafel schwelgt und mit allzu reichlichen Speisen sich den Magen überlädt, so daß er tags darauf noch das Unverdaute von sich gibt, anstatt Speise und Trank mit der Not der Armen zu teilen? Beweint etwa der seinen Tod, der heiter und fröhlich einhergeht und, obwohl S. 119 geschrieben steht: „Ihr sollt die Gestalt eures Bartes nicht entstellen“1 , den Bart zustutzt und sein Gesicht herausputzt? Und da sucht jetzt einer, der Gott mißfällt, noch jemand anderem zu gefallen? Oder seufzt und wehklagt etwa sie, die zwar Muße findet, sich in kostbare Prachtgewänder zu kleiden, aber nicht, an das Kleid Christi zu denken, das sie verloren hat; die zwar Zeit hat, wertvollen Schmuck und feingearbeitetes Geschmeide anzulegen, aber nicht, den Verlust des göttlichen und himmlischen Schmuckes zu beweinen? Magst du auch fremdländische Gewänder und seidene Kleider anlegen, du bleibst dennoch nackt; magst du auch mit Gold und Perlen und Edelsteinen dich schmücken, ohne den Schmuck Christi bist du dennoch häßlich. Und während du sonst deine Haare färbst, laß wenigstens jetzt in deinem Schmerz davon ab, und wenn du sonst mit schwarzem Pulver die Linien deiner Augenbrauen nachziehst2 , bade wenigstens jetzt deine Augen in Tränen! Hättest du eines deiner Lieben durch einen Todesfall verloren, so würdest du gar betrübt seufzen und weinen, du würdest dein Gesicht ungepflegt lassen und Trauerkleider anlegen, du würdest dein Haar vernachlässigen, eine traurige Miene zeigen, dein Haupt senken und durch diese Zeichen deine Trauer zu erkennen geben. Deine eigene Seele ist es, du Unglückliche, die du verloren hast, geistig bist du gestorben, und du hast angefangen, hier dich selbst zu überleben und im Umherwandeln deine eigene Leiche herumzutragen: und du ringst nicht voll Verzweiflung die Hände, du mußt nicht in einem fort seufzen, du hältst dich nicht verborgen aus Scham über dein Vergehen, oder um dich ohne Unterbrechung den Wehklagen hinzugeben? Siehe, das sind noch ärgere Wunden der Sünde, das sind noch größere Verbrechen, wenn man gesündigt hat und dann keine Genugtuung leistet, wenn man sich vergangen hat und dann die Vergehungen nicht einmal beweint.
