Kap. 35. Je nach der Schwere seiner Schuld hat jeder Genugtuung zu leisten und in guten Werken sich zu betätigen.
Ihr aber, liebe Brüder, deren Furcht auf den Herrn gerichtet ist und deren Seele selbst nach dem Sturz ihres Unglücks gedenkt, prüfet voll Reue und Schmerz eure Sünden, erkennet die schwere Schuld eures Gewissens, öffnet die Augen des Herzens, um euer Vergehen einzusehen, ohne an der Barmherzigkeit des Herrn zu verzweifeln, aber auch ohne bereits im voraus seine Verzeihung euch anzumaßen! So gnädig und gütig Gott stets in seiner väterlichen Liebe ist, so sehr ist er in seiner Majestät als Richter zu fürchten. So schwer unsere Vergehen gewesen sind, so bitterlich laßt sie uns beweinen! Wollen wir es nicht an einer sorgfältigen und anhaltenden Heilung der tiefen Wunde fehlen lassen: die Buße darf nicht geringer sein als das Vergehen! Glaubst du, Gott läßt sich so schnell versöhnen, er, den du in treulosen Worten verleugnet, dem du lieber Hab und Gut vorgezogen und dessen Tempel du durch gottlose Befleckung entweiht hast? Glaubst du, der erbarme sich deiner so leicht, den du als den Deinigen abgelehnt hast? Um so inständiger gilt es jetzt zu bitten und zu beten, den Tag in Trauer zu verleben, die Nächte wachend und weinend zu verbringen, jeden Augenblick mit tränenvollen Wehklagen auszufüllen, hingestreckt am Boden zu liegen, in Sack und Asche und im Schmutze sich zu wälzen, nach dem S. 123 Verlust des Gewandes Christi nach keinem Kleid mehr zu verlangen, nach dem Genuß der Speise des Teufels lieber zu fasten, gerechten Werken obzuliegen, wodurch die Sünden getilgt, und häufig Almosen zu spenden, wodurch die Seelen von dem Tode befreit werden. Was der Widersacher euch rauben wollte, das möge Christus empfangen, und Hab und Gut, wodurch man sich hat betrügen und überwinden lassen, darf man nicht mehr festhalten und lieben. Wie einen Feind gilt es den Besitz zu meiden, wie einen Räuber ihn zu fliehen, wie Dolch und Gift haben ihn die Besitzenden zu fürchten. Nur dazu möge die noch verbliebene Habe dienen, daß man sich damit von Verbrechen und Schuld loskaufe! Unverzüglich und reichlich gilt es Wohltätigkeit zu üben, das ganze Vermögen zur Heilung der Wunde zu verwenden und unsere Reichtümer und Schätze dem Herrn auf Zinsen zu leihen, der über uns dereinst richten wird. So lebendig war der Glaube zur Zeit der Apostel, so treu hielt die erste Gemeinde der Gläubigen die Gebote Christi: sie waren willig, sie waren freigebig; alles gaben sie hin zur Verteilung durch die Apostel1 , und doch hatten sie keine solchen Vergehen zu tilgen.
Apg 2,45; 4,34. Vgl. hierzu die Schrift De cath. ecclesiae unitate, Kap. 25f und De opere et eleemosynis, Kap. 25, wo gleichfalls auf die Zeit der Apostel als vorbildlich hingewiesen wird. ↩
