1. Zeugnisse der Heiden widerlegen die Einwendungen gegen die göttliche Vorsehung
Gott, wird von manchen behauptet, kümmere sich nicht um die Handlungen der Menschen, ja er vernachlässige sie gewissermaßen; nehme er doch weder die Guten in Schutz, noch gebiete er den Bösen Halt; und so komme es, daß auf dieser Welt die Guten meist unglücklich, die Bösen glücklich seien. Nun sollte eigentlich, da wir es doch mit Christen zu tun haben, zur Widerlegung dieser Einwände Gottes Wort genügen. Aber viele haben noch etwas vom heidnischen Unglauben in sich stecken; und sie mögen sich vielleicht durch die Aussprüche besonders auserwählter heidnischer Weiser angezogen fühlen. Wir haben also zu beweisen, daß auch diejenigen, die, außerhalb des wahren Glaubens stehend, auf keinen Fall Kenntnis von Gott haben konnten, da sie ja von dem Gesetz, auf Grund dessen Gott erkannt werden kann, nichts wußten, daß also auch sie nicht eine derartige Anschauung von Gottes Sorglosigkeit und Nachlässigkeit hatten. Der Philosoph Pythagoras, den die Philosophie selbst sozusagen als ihren Lehrmeister verehrte, sprach sich, indem er sich über das Wesen und die Wohltaten Gottes verbreitete, folgendermaßen aus: „Der Geist, der durch alle Teile der Welt wandert und sich ergießt, er ist es. S. 40 aus dem alles Wesen, das da entsteht Leben schöpft.“ 1Wie soll also Gott die Welt vernachlässigen, die: Welt die er schon um derentwillen genugsam liebt, daß er sich selbst über den ganzen Weltkörper hm erstreckt? Plato 2 und alle platonischen Schulen halten an Gott als dem Lenker aller Dinge fest. Die Stoiker 3haben den S. 41 Glaubenssatz, daß er, wie ein Steuermann, immer innerhalb dessen bleibe, was er lenke. Und konnten sie sich Gott in seiner Liebe und Fürsorge richtiger und frömmer vorstellen, als wenn sie ihn einem Steuermann verglichen? Denn, so dachten sie sich das Bild, wie der dahinsegelnde Steuermann niemals seine Hand vom Steuer läßt, so entzieht auch Gott der Welt nie und nimmer seine sorgende Liebe; und wie jener nach guten Winden aussieht und die Klippen meidet und die Gestirne beobachtet und so ganz und gar, mit Leib und Seele,4 seiner Aufgabe sich hingibt, so nehme auch unser Gott vom großen All der Dinge nie die Gabe seiner gnädigsten Aufmerksamkeit; nie versage er ihm die Leitung seiner Vorsehung; nie raube er ihm seine Nachsicht, Milde und Güte. Daher denn auch jener hohe, geheimnisvolle Satz, mit dem sich Vergilius Maro ebenso als Philosophen wie als Dichter zeigen wollte: "Denn Gott gehe durch alle Länder und alle Striche S. 42 des Meeres und die Tiere des Himmels. 5Auch Tullius sprich ähnlich: „Aber Gott, der von uns erfaßt wird kann nicht anders gefaßt werden denn als ein Geist, gelöst und frei und gesondert von aller sterblichen Materie, alles fühlend und bewegend. 6 Und an anderer Stelle: „Nichts ist vorzüglicher als Gott. 7Von ihm also muß die Welt regiert werden; Gott ist daher keinem natürlichen Prinzip gehorsam oder unterworfen; folglich lenkt er selbst die ganze Natur; wir mußten uns höchstens in der uns angeborenen großen Weisheit zu der Annahme entschließen können und glauben, der, von dem alles regiert wird, könne zu gleicher Zeit die Welt regieren und sich selbst überlassen. Wenn also sogar alle diese, wohlgemerkt Ungläubigen, 8 sozusagen von einem inneren, gewaltsamen Zwang getrieben, aussagen mußten, alles werde von Gott gefühlt und bewegt und gelenkt: wie kann es jetzt Leute geben, die ihn für gleichgültig und nachlässig erachten? Ihn, der doch alles erfaßt mit der Tiefe seiner Weisheit, alles bewegt mit seiner Kraft, alles regiert mit seiner Macht und beschützt mit seiner Güte? Ich habe gesagt, was S. 43 für ein Urteil über die Erhabenheit und Herrschertätigkeit des höchsten Gottes die Spitzen der Philosophie und zugleich der Beredsamkeit gefällt haben. Nur deshalb aber habe ich die größten Meister in beiden hervorragenden Künsten zum Worte kommen lassen, um desto leichter aufzeigen zu können, daß entweder alle die gleiche Meinung hatten oder sicher irgendwelche gegenteilige Meinungen ohne jede Bedeutung waren. Tatsächlich kann ich auch keinen einzigen, der mit dem Urteil jener Männer nicht übereinstimmte, finden, abgesehen höchstens von den wahnsinnigen Ideen der Epikureer 9 oder dem Epikur nahestehender Leute, die, wie die Lust mit dem Tugendbegriff, so auch den Gottesbegriff mit der trägen, schläfrigen Ruhe verbanden. So offenbart es sich, daß diejenigen, die also denken, mit dem Gefühl und dem Gedanken der Epikureer auch dem Laster nachgehen.
„Quid enim immortalibus atque beatis gratia nostra queat largirier emolumenti, ut nostra quicquam causa gerere aggrediantur?„
Und Klemens von AI. nennt Strom. I 11, 50, p. 33 (Stählin II) die epikureische Philosophie xxxxx xxxxx. „Sie schafft die (sc. göttliche) Vorsehung ab und vergöttlicht die Lust.“
Lactantius Div. inst. I 5, 17. Dem Sinn nach auch bei Cicero De nat. deorum I 11, 27. Schon Tillemont macht auf die Verwandtschaft der Diktion Salvians mit der des Laktanz aufmerksam. Zschimmer (Salvian und seine Schriften, Halle 1875) hat gefunden, daß ein enger literarischer Zusammenhang zwischen Salvian und Laktanz besteht: sämtliche Zitate aus älteren lateinischen Klassikern, die Salvian hat, finden sich auch bei Laktanz (a.a.O. S.62). In unserem Falle hat Salvian das Zitat fast wörtlich aus Laktanz, während dieser es nur sinngemäß seiner Quelle entnommen hat. ↩
Die platonischen Dialoge Philebos und Nomoi bringen Beweise für das Walten einer weltregierenden Vernunft. In den Nomoi werden damit auch Beweise für eine dem Menschen zugewandte göttliche Fürsorge verbunden. (Vgl. Überweg, Die Philosophie des Altertums, 12, Aufl., Berlin 1926, S. 333.) Die Behauptung Salvians, daß auch alle platonischen Schulen an Gott als dem Lenker aller Dinge festhielten, kann wohl nur von der älteren Akademie als einigermaßen richtig bezeichnet werden. Speusippos z. B. identifiziert die Vernunft mit der Gottheit und sieht in ihr eine das All regierende Macht. (Überweg a.a.O. S. 344.) Die Vertreter der mittleren und neueren Akademie dagegen sind durchweg Skeptiker. Karneades glaubt nicht einmal an Gott als ein persönliches, vernünftiges Wesen. (Überweg a. a. 0. S. 469.) ↩
Die Stoiker lehren, daß die Schönheit und Zweckmäßigkeit, überhaupt die Vollkommenheit der Welt nur von einem denkenden Geist herrühren könne; sie beweisen so das Dasein der Gottheit, die als Vorsehung alles zum Besten der Menschen eingerichtet habe und „als ein . . . künstlerisch nach Zwecken bildendes Feuer“ die Welt durchdringe. (Salv.; mamere intra!) (Vgl. Überweg a.a.O. S.419) Ein wunderbares Beispiel für den Glauben der Stoiker an die „alles durchdringende und den Kosmos nach einheitlichen Gesetzen regierende Macht des Weltlenkers“ (Überweg S. 423) bildet der Hymnus des Kleanthes an Zeus (Stoicorum veerum fragmenta coll. J. ab Arnim Vol. I Leipzig 1905, N. 537), in dem es unter anderem heißt: xxxxx . . . xxxx . Ferner heißt es in Nr. 176 (= Aetius I 27, 5) der Fragmenta stoic. vet: xxxxx xxxxx. Salvian bewegt sich überhaupt sehr häufig in stoischen Gedankengängen; schon daß er so eingehend über die Vorsehung schreibt, erinnert an die stoische Theodizee. Man braucht aber deshalb nicht anzunehmen, daß er einen bestimmten stoischen Schriftsteller benützt hat. Denn es liegt oft nur eine Beeinflussung, keine Entlehnung vor. Die Lehren der Stoiker waren in weiten Kreisen der damaligen Zeit sehr populär. (Vgl. Schäfer, Römer und Germanen bei Salvian. Breslau 1930, S. 64.) ↩
Die Alliteration corporis - cordis. die sich gerade im späteren Latein häufig findet (vgl. E. Wölfflin, All. Verbindungen der lat. Sprache [Sitzungsber. der Bayer. Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse 1881, 2] S. 52; F, Ranninger, Über die Alliteration bei den Gallolateinern des 4., 5., 6. Jahrh. [Programm Landau 1895] S. 45; Hist. Vierteljahrsschr. 28 [1933] S. 407), läßt sich, wie die meisten Wortspiele der rhetorischen Sprache Salvians, im Deutschen nicht mit dem gleichen Klang wiedergeben. (Vgl. L. Rochus, Les jeux de mots chez Salvien [Rev. belge phil, 9, 1930] unter Nr. 7 und Dubois, Le Lat. d'Ennodius S. 528.) ↩
Lact.. Div. inst. 1 5. 12; Vergil, Georg. IV 221 f. (Vgl. S. 40 Anm. 1.) ↩
Lact., Div. inst. I 5, 25 und Cic, Tusc. disp. I 27, 66. Laktanz hat das Zitat ganz wörtlich aus Cicero. ↩
Lact, Div. inst. I 5, 24. Dieser gibt an, daß er die Stelle aus Cicero, De natura deorum, habe, wo sie aber nicht zu finden ist. (Vgl. Zschimmer a. a. 0. S. 62 ) ↩
Auch Klemens von Alexandrien hält es für möglich, daß die antiken Philosophen mit ihrer Dekkraft die Wahrheit erkannt oder wenigsten geahnt hätten. (Vgl. J. Stiglnmayr, Kirchenväter und Klassizismus, 114. Eränzungsheft zu den Stimmen aus Maria Laach, Freiburg i.B. 1913, S. 10) „Der Wahrheitsgehalt (sc. der Griech. Philosopie) selbst, sowie die göttliche Herkunft und die providentielle Bestimmung desselben steht Klemens unumstößlich fest“ (Bardenhewer, Gesch. der altkirchl. Literatur II, S. 45). In den Stromata I 17,87. p.55 (e. Stühlin II, Leipzig 1906) sagt Klemens: xxxxx ….. xxxxx. ↩
Die Epikureer und ihre Anhänger leugnen die Lehre von der göttlichen Vorsehung und stehen auch in diesem Punkte im Gegensatz zur Stoa. Die Götter führen, wie es im 1. Brief Epikurs an Herodot (ed. Usener, Epicurea, Leipzig 1887, S. 17, 11 ff.) heißt, ein seliges, von keiner Sorge um die Weltregierung getrübtes Dasein. Die Bewegung der Gestirne, ihr Aufgang und ihr Untergang, vollzieht sich ohne einen, der sie lenkt oder gelenkt hat. Lucretius, De rerum natura V 165 ff., sagt: ↩
