Erster Artikel. Die Ursache der Furcht ist die Liebe.
a) Dagegen: I. ist das, wovon etwas verursacht oder hineingeführt wird, nicht dessen Ursache. „Die Furcht aber führt in die Seele ein die Liebe,“ sagt Augustin (sup. 1. Canon. Joan. tract. 9.). Also die Furcht ist die Ursache der Liebe. II. Aristoteles sagt (2 Rhet. 5.): „Jene fürchten wir am meisten, von denen uns Übles droht.“ Dadurch aber wird vielmehr unser Haß erregt, als unsere Liebe. III. Was von uns selber kommt, hat nicht den Charakter des Furchtbaren, wie oben hervorgehoben. Die Liebe aber und das natürlich dann, was von ihr ausgeht, kommt im höchsten Grade vom innersten Herzen. Also ist da nicht Furcht die Folge. Auf der anderen Seite sagt Augustin (83 Qq. 33.): „Niemand zweifelt daran, daß keine andere Ursache bestehe für die Furcht außer das, was wir lieben; damit wir nämlich es nicht verlieren, wenn wir es besitzen, oder damit wir es etwa nicht erreichen, wenn wir es hoffen.“
b) Ich antworte, die Gegenstände der Leidenschaften verhalten sich zu diesen wie die Wesensformen zu den natürlichen Dingen und die Kunstformen zu den Kunstwerken; denn die Leidenschaften der Seele erhalten eben ihre Wesensformen von den Gegenständen aus. Sowie also das, was die Ursache dieser Form ist, auch als die Ursache dasteht für die durch die Form gebildete und hergestellte Sache; so ist, was auch immer die Ursache dafür ist, daß die Leidenschaft eine solche bestimmte Form hat, zugleich die Ursache für die Leidenschaft. Nun geschieht es aber, daß etwas Ursache für den Gegenstand ist entweder nach Art der wirkenden Ursache oder nach Art jener Ursache, welche den Stoff, hier also die subjektive Verfassung des begehrenden, bestimmbaren Vermögens vorbereitet. So ist z. B. der Gegenstand für das Ergötzen das zukömmlich erscheinende Gut als ein mit dem Begehren verbundenes; und die wirkende Ursache dieser Verbindung, also des Ergötzens, ist das, wasentweder diese Verbindung selber unmittelbar herstellt oder die Zukömmlichkeit und Güte im Gegenstande macht oder was diesen als gut wenigstens erscheinen läßt. Ursache aber in der Weise der den Stoff, hier das subjektive Vermögen des Begehrens, vorbereitenden ist ein Zustand oder irgend welche Verfassung, welcher gemäß jemandem zukömmlich thatsächlich wird oder als solches erscheint das mit ihm verbundene Gut. So also ist bei der Furcht Gegenstand ein wirkliches oder so erscheinendes und erachtetes Übel der Zukunft, welchem kaum Widerstand geleistet werden kann. Was nun dieses Übel wirklich anthun kann, das ist die wirkende Ursache für den Gegenstand der Furcht und somit für die Furcht selber. Wodurch aber das Begehrvermögen in der Weise subjektiv vorbereitet wird, daß ihm etwas als zukünftiges Übel vorkommt, das ist die Ursache der Furcht und deren Gegenstandes nach Art der material vorbereitenden Ursache; und so ist die Liebe Ursache der Furcht. Denn deshalb weil jemand ein Gut liebt, erscheint ihm das, was den Mangel an selbem verursacht, als ein Übel, und somit fürchtet er es als ein Übel.
c) I. Die Furcht in ihrer Natur oder an und für sich richtet sich vor allem auf das Übel, was sie flieht und das da entgegensteht einem gewissen geliebten Gute; und so entsteht ihrer Natur nach die Furcht aus der Liebe. Auf Grund dessen, also erst in zweiter Linie, richtet sich die Furcht auf das, woher das betreffende Übel kommt; und so verursacht manchmal nebensächlich, per accidens, die Furcht die Liebe, insofern der Mensch, der da fürchtet, von Gott bestraft zu werden, die Gebote Gottes beobachtet und anfängt zu hoffen und die Hoffnung zur Liebe führt nach Kap. 40, Art. 7. II. Jener, von dem wir ein Übel erwarten, wird wohl zuerst gehaßt; aber nachdem man angefangen hat, von ihm Gutes zu erhoffen, dann beginnt man, ihn zu lieben. Jenes Gut aber, was dem gefürchteten Übel entgegensteht, wird von Anfang an geliebt. III. Dieser Einwurf geht von der Ursache aus, die in der Weise der einwirkenden schwer Übles anthut; wir aber sprechen hier von der material vorbereitenden.
