Zweiter Artikel. Über die Art und weise des Erstarkens oder der Steigerung der Zustände.
a) Die Steigerung oder das Mehrwerden in den Zuständen scheint sich vermittelst „Addition“ zu vollziehen. Denn: I. Der Ausdruck „Mehrwerden“ ist vom Körperlichen her genommen. Im Körperlichen aber vollzieht sich dies dadurch, daß eins zum anderen hinzugefügt wird; wie Aristoteles sagt (de Gener. 1.): „Ein Mehrwerden ist ein Hinzufügen, „Addieren“, zu der bereits bestehenden Größe.“ II. Ein Zustand erfährt eine Steigerung nur dadurch, daß ein Einfluß da wirkt. Jeder solche wirksame Einfluß aber macht etwas im betreffenden Subjekte; wie der erwärmende Einfluß einen gewissen Grad Wärme noch hervorbringt in dem was schon warm geworden. Ein Steigern oder Mehrwerden ist also nur möglich dadurch, daß das eine zum anderen „addiert“ oder hinzugefügt wird. III. Was nicht thatfächlich weiß ist, das ist vermögend dazu, weiß zu werden; und was minder weiß ist, das ist vermögend dazu, mehr weiß zu werden. Was aber nicht weiß ist, wird dies nur dadurch, daß das Weiße hinzutritt. Also was minder weiß ist, wird mehr weiß dadurch, daß noch anderes Weiße hinzutritt. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (4 Phys.): „Was warm ist, wird wärmer, ohne daß damit im betreffenden Stoffe etwas warm würde, was nicht schon warm gewesen wäre, als es minder warm war.“ Also ist auch bei ähnlichen Formen das Steigern keine Addition neuer Formen.
b) Ich antworte, das Verständnis des hier berührten Punktes hänge ab von dem, was gesagt worden über die verschiedene Teilnahme des betreffenden Subjekts an der Form oder Eigenschaft und über die dadurch begründete Steigerung oder Mehrwerdung des Zustandes. Eine solche Steigerung also geschieht nicht durch das Hinzufügen der einen Form zur anderen; sondern dadurch, daß das betreffende Subjekt mehr geeignet wird zur Auf nahme ein und derselben Form. Und wie durch den wirkenden Einfluß einer entsprechenden Ursache, die da thatsächlich warm ist, etwas vom Vermögen, warm zu werden, übergeht zur thatsächlichen Wärme; nicht aber diese Form, die Wärme, selber wird; ebenso wird durch den mehr angespannten Einfluß dieser Ursache etwas in höherem Grade warm; nämlich es wird geeigneter, an der Wärme in vollkommenerer Weise teilzunehmen, nicht aber tritt eine neue Form zur bereits bestehenden hinzu. Denn wenn eine solche Steigerung in den Zuständen oder Formen so aufgefaßt würde, als ob dies durch Addition der einen Form zur anderen geschähe, so könnte dies nur sich vollziehen von seiten der Form selber her oder von seiten des Subjekts, das daran teilnimmt. Im ersten Falle würde, wie in Artikel 1 gesagt worden, ein solches Hinzufügen oder Hinwegnehmen in der Gattungsstufe eine Änderung hervorrufen, wie die Gattung der Farbe eine andere wird, wenn etwas weiß wird, nachdem es blaß gewesen. Im zweitgenannten Falle könnte dies nicht anders aufgefaßt werden als entweder auf die Weise, daß ein Teil des Subjekts nun an der Form teilnimmt, nachdem er früher nicht daran teilgenommen, wie man sagen würde, die Kälte nehme zu im Menschen, weil er vorher nur an einem Gliede fror, und nun an mehreren; — oder auf die Weise, daß ein anderes Subjekt zum bestehenden hinzugefügt wird, welches an der nämlichen Form Anteil hat; wie wenn man einen warmen Gegenstand zum anderen hinzufügen wollte oder einen weißen zu einem weißen. In beiden Fällen jedoch ist dann nicht von etwas Wärmeren oder Weißeren die Rede, sondern von einem größeren Warmen oder Weißen; insofern nämlich der subjektive Umfang im Subjekte oder im Träger der Form ein größerer geworden ist. Da es jedoch, wie ebenfalls in Art. 1. auseinandergesetzt worden, Formen giebt, die an und für fich betrachtet eine Steigerung oder ein Mehrwerden zulassen, so kann bei einzelnen Zuständen eine Steigerung eintreten, auch infolge von Addition oder Hinzufügen. So wird die Bewegung eine größere, wenn etwas der Zeit nach oder dem durchlaufenen Wege nach hinzugefügt wird; — und trotzdem bleibt auf Grund des einigen Abschlußpunktes die nämliche Gattung der Bewegung. Nichtsdestoweniger erfährt die Bewegung auch eine Steigerung von seiten des Subjekts, was in Bewegung ist, insofern die gleiche Bewegung schneller oder langsamer vor sich gehen kann. Ähnlich wird die Wissenschaft vermehrt dadurch, daß jemand z. B. mehr Schlußfolgerungen in der Geometrie hinzulernt, wobei doch immer der nämliche Zustand der Gattung nach bleibt. Und ebenso wird die Wissenschaft gesteigert von seiten des Subjekts, insofern jemand klarer und schneller eine Wissenschaft erlernt. Was aber die körperlichen Zustände anbelangt, so scheint eine Steigerung derselben nicht in hohem Grade vermittelst des Hinzufügens stattzufinden; denn ein sinnbegabtes Wesen wird nicht gesund oder schön genannt, es wäre denn ein solches in allen seinen Teilen. Und daß dasselbe zu einer vollkommeneren Verfassung im Verhältnisse der Teile zu einander gelangen, das geschieht vermittelst der Veränderung, die von den einfachen elementaren Eigenschaften ausgeht, wo ein Mehrwerden nur dadurch möglich ist, daß das betreffende Subjekt als Träger der Eigenschaft mehr an derselben Anteil hat. Betreffs der Tugenden s. unten Kap. 66.
c) I. Auch in der körperlichen Größe findet sich eine doppelte Art Steigerung oder Mehrwerden: einmal durch Hinzufügen, Addition, des einen Subjekts zum anderen, wie dies bei dem Wachsen der lebenden Wesen der Fall ist; — dann einfach durch größere Anspannung ohne irgend welches Hinzufügen, wie bei den Dingen, die (4 Phys.) dünner aber umfangreicher werden. II. Die einwirkende Ursache bringt immer im betreffenden Subjekte etwas hervor, jedoch nicht immer eine neue Form. Vielmehr macht sie oft, daß das Subjekt größeren Anteil hat an der einen Form. III. Was aus nicht-weiß weiß wird, darin wirkt das Einwirkende eine neue Form. Was aber schon weiß oder warm ist, das ist an sich, kraft dieser Form, nicht mehr vermögend, unweiß oder warm zu werden; sondern ist vermögend, um mehr Anteil zu haben an dieser Form; — und das bewirkt der Einfluß der wirkenden Ursache.
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