Zweiter Artikel. Die Thätigkeiten, welche dem Gesetze eigen sind.
a) Es scheint nicht, daß dies die Thätigkeiten eines Gesetzes sind: Gebieten, Verbieten, Erlauben, Bestrafen. Denn: I. Jedes Gesetz ist eine Vorschrift. Also genügt das „Gebieten“ als seine Thätigkeit; die anderen drei sind überflüssig. II. Das Gesetz macht gut. Der Rat aber betrifft ein größeres Gut wie der Befehl. Also wäre da besser gesetzt: „Raten“ wie „Befehlen“. III. Wie „Strafen“ hätte auch „Belohnen“ gesetzt werden müssen; denn dadurch wird man ebenfalls zum Guten angetrieben. IV. Wer nur aus Furcht vor Strafe gehorcht, der ist nicht gut; und das Gesetz will doch den Menschen gut machen. Denn „wenn auch jemand aus knechtischer Furcht, also aus Furcht vor Strafe, etwas Gutes macht, so macht er es doch nicht gut“ sagt Augustin. (Enchir. 121.) Also kommt es dem Gesetze nicht zu, daß es strafe. Auf der anderen Seite sagt Isidor (5 Etymol. 19.): „Jedes Gesetz erlaubt entweder etwas, wie daß der starke Mann nach Belohnung strebt; oder es verbietet etwas, wie daß man gottgeweihte Jungfrauen heirate; oder es straft, wie daß der Mörder am Leben gestraft werde.“
b) Ich antworte; wie der Satz eine Vorschrift der Vernunft ist in der Weise des Aussprechens, so das Gesetz in der Weise des Vorschreibens. Der Vernunft aber ist es eigen, daß sie aus dem Einen etwas Anderes ableite. Wie also in der beweisenden Wissenschaft die Vernunft dazu führt, daß man kraft einzelner Principien den Schlußfolgerungen zustimme, so führt sie auch dazu, daß man der Vorschrift des Gesetzes folge kraft gewisser Mittel. Nun sind die einen von den menschlichen Thätigkeiten gut von ihrer „Art“ aus, die Akte der Tugenden nämlich; und rücksichtlich derer wird von seiten des Gesetzes die Wirksamkeit des Gebietens oder Befehlens entfaltet, denn „das Gesetz befiehlt alle Thätigkeiten, die tugendhaft sind.“ 5 Ethic. 1. Andere Akte sind schlecht von ihrer „Art“ aus; und rücksichtlich derer gilt als Wirksamkeit des Gesetzes das Verbieten. Rücksichtlich jener Thätigkeiten, die an sich betrachtet indifferent sind, hat das Gesetz das Erlauben. Die Mittel aber, deren sich das Gesetz bedient, um zu seiner Befolgung anzuleiten, bestehen in den Strafen.
c) I. Mit dem Bösen aufhören, das hat in etwa den Charakter des Guten; und so hat auch das Verbieten in etwa den Charakter des Befehlens, wenn man nämlich den Ausdruck „Befehlen“ weit nimmt. II. „Raten“ ist keine Wirksamkeit des Gesetzes; sondern kommt mehr einer Privatperson zu. Deshalb sagt Paulus (1. Kor. 7.), da er einen Rat geben will: „Das sage ich, nicht der Herr.“ III. Das „Belohnen“ kann auch jeder Privatperson zukommen. Bestrafen aber gehört nur dem Diener des Gesetzes zu, kraft dessen Autorität die Strafe aufgelegt wird. „Belohnen“ also ist keine dem Gesetze eigene Wirksamkeit. IV. Die Furcht vor der Strafe im Beginne führt manchmal dazu, daß man am Ende mit Vergnügen das Gebotene macht; und so führt auch die Strafe dazu, die Menschen gut zu machen.
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