Erster Artikel. In zulässiger Weise hat das „Gesetz“ Bestimmungen getroffen betreffs der Fürsten.
a) Dies scheint den Thatsachen nicht zu entsprechen. Denn: I. Aristoteles sagt (3 Polit. 4.): „Die Ordnung im Volke hängt in erster Linie ab von der höchsten leitenden Gewalt.“ Im „Gesetze“ aber wird nicht gefunden, wie ein höchster leitender Fürst eingesetzt werden solle; nur über niedere Fürsten wird gesprochen. So zuerst Exod. 18.: „Suche hervor aus dem ganzen Volke weise Männer;“ Num. 11.: „Sammle um mich siebzig Männer von den Alteren in Israel;“ und Deut. 1.: „Lasset kommen aus euerer Mitte weise und kenntnisreiche Männer.“ Also sorgte in dieser Hinsicht das „Gesetz“ nicht genügend. II. „Dem Besten gehört es zu, Bestes zu thun,“ sagt Plato im Timäus. Die beste Staatsordnung aber ist die unter einem Könige, wie die Welt von dem einen Gott geleitet wird. Also mußte das „Gesetz“ einen König ernennen und nicht dies der Willkür des Volkes überlassen; nach Deut. 17.: „Wenn du sagst: ich will über mich einen König … so sollst du in dieser Weise vorgehen.“ III. Matth. 12. heißt es: „Jedes Reich, das in sich geteilt lst, soll zu Grunde gehen.“ Also mußte das Gesetz, welches ja auf das Gemeinbeste sich richtet, die Teilung des Reiches in zwei Königreiche verbieten; anstatt daß diese Teilung durch göttliche Autorität vermittelst des Propheten Ahias von Silon gutgeheißen wurde. (3. Kön. 11.) IV. Wie die Priester dastehen in dem, was sich auf Gott bezieht, so sind die Fürsten aufgestellt in dem, was sich auf den wechselseitigen Nutzen im Volke bezieht. Jenen aber wurden gewisse Einkünfte zugeteilt. Also mußte dies auch rücksichtlich der Fürsten geschehen, denen noch dazu das Annehmen von Geschenken verboten wird, Exod. 23.: „Ihr sollt keine Geschenke annehmen, die auch der Klugen Geist blind machen und verkehren die Worte der Gerechten.“ V. Der Herr richtete vielmehr eine Tyrannenherrschaft ein, die schlechteste nämlich, anstatt einer Königsherrschaft, der besten. Denn 1. Kön. 8. heißt es: „Das soll das Recht des Königs sein, der euch gebieten soll: euere Söhne wird er nehmen etc.“ Also nach dieser Seite hin war das „Gesetz“ unzulässig. Auf der anderen Seite wird das israelitische Volk bewundert wegen der Schönheit seiner inneren Ordnung, Num. 24.: „Wie schön sind deine Hütten, Jakob; und deine Zelte, Israel.“ Die Schönheit der inneren Ordnung im Volke aber hängt ab von der zweckmäßig eingerichteten Leitung.
b) Ich antworte; rücksichtlich der guten Leitung in einer Nation ist zweierlei zu berücksichtigen: 1. Daß alle in etwa teilhaben an der Leitung; denn dadurch wird der Frieden im Volke bewahrt und alle lieben und behüten die von solcher Leitung ausgehende Ordnung (2 Po1it. 1.); — 2. daß in ihrer Art, wie es dem besonderen Wesen des betreffenden Volkes entspricht, eine zukömmliche Leitung auserwählt werde. Da besteht nun die erste Art der Staatsleitung, die Königsherrschaft, wo einer als Fürst dasteht und die Kraft, alle zu leiten, in seiner Hand hält. Dann kommt die Aristokratie, wo einige wenige, die durch Tugend hervorragen, gebieten. Dies sind die beiden vorzüglichsten Regierungsarten. Die beste Leitung also ist die, wo einer vorsteht gemäß der Tugend, der allen gebietet; und unter ihm sind einige wenige Fürsten gemäß der Tugend. Eine solche Leitung gehört zugleich allen an, weil diese Fürsten aus allen erwählt werden können und weil sie von allen erwählt werden. So ist nun beschaffen jede wohl geordnete Herrschaft, insoweit 1. einer vorsteht und somit ein Königreich besteht, 2. insoweit unter diesem wenige gemäß der Tugend die leitenden Stellen einnehmen und endlich insoweit 3. die Fürsten erwählt werden können aus den Männern des Volkes und von seiten des Volkes. Da ist Monarchie, Aristokratie und Demokratie ordnungsmäßig gemischt. Dies war nun die Ordnung im Volke Gottes nach dem göttlichen, Gesetze. Moses und seine Nachfolger regierten an erster Stelle das Volk; und so war da eine gewisse königliche Herrschaft. Es wurden dazu nach Maßgabe der Tugend zweiundsiebzig Älteste ausgewählt, nach Deut. 1.: „Ich nahm aus eueren Stämmen weise und edle Männer und machte sie zu Fürsten;“ und so war da ein aristokratisches Element. Diese zweiundsiebzig Männer aber wurden gewählt aus dem ganzen Volke; Exod. 18.: „Trage Sorge, weise Männer zu wählen aus dem ganzen Volke;“ — und das Volk trug ebenso bei zur Wahl, nach Deut. 1.: „Nehmet aus euerer Mitte weise Männer etc.“
c) 1. Jenes Volk unterstand der besonderen Leitung von seiten Gottes, weshalb Deut. 7. gesagt wird: „Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt, daß du ihm als Volk eigens zugehörest.“ Deshalb hat Gott die Einsetzung eines ersten leitenden Fürsten sich selber vorbehalten; und darum flehte Moses (Num. 27.): „Möge Gott, der Herr über die Geister alles Fleisches, für einen Mann sorgen, der da vorstehe dieser ganzen Menge hier.“ So setzte Gott nach Moses den Josue ein; und von den späteren einzelnen Richtern nach Josue steht immer bemerkt: „Gott erweckte dem Volke einen Retter;“ und „daß der Geist Gottes in ihnen war.“ Und Deut. 17. heißt es im allgemeinen: „Jenen sollst du als König einsetzen, den der Herr, dein Gott, auserlesen wird.“ II. Wegen der großen, dem Könige zustehenden Macht verkehrt sich die beste Regierungsform oft in die schlechteste, in Tyrannengewalt. „Ein VIII. tugendhafter gehört sich dazu,“ sagt Aristoteles (10 Ethic. 8.), „in angemessener Weise das Glück zu ertragen.“ Wenige aber solcher Tugendhaften giebt es; und zumal das Volk Israel neigte zu Grausamkeit und Habsucht hin, wodurch die Menschen zumeist Tyrannen werden. Darum setzte Gott zuerst keinen König ein, sondern einen Richter und Führer. Erst später ließ Er, aber gleichsam in Unwillen, auf die Bitte des Volkes einen König zu, wie Er spricht zu Samuel (1. Kön. 8.): „Nicht dich haben sie verworfen, sondern mich, daß ich nicht herrsche über sie.“ Zugleich aber bestimmte der Herr zweierlei für die Königswahl: 1. Sie sollten dabei sein d. h. Gottes Urteil abwarten; und dies geschah, damit sie sich nicht den König eines anderen Volkes erwählten, der am Ende wenig für sie Sorge tragen möchte; — 2. die Könige sollten sich nicht die Wagen und Pferde vervielfältigen und ebenso nicht die Frauen; und sie sollten nicht ungeheuere Reichtümer ansammeln; denn diese Begierden machen die Fürsten zu Tyrannen; dann sollten die Könige die Gerechtigkeit pflegen, das Gesetz Gottes stets vor Augen haben, Gott fürchten und Ihm folgen; schließlich sollten sie nicht hart und hoffärtig und ungerecht sein gegen ihre Unterthanen. III. Die Teilung des Reiches war die Strafe für die Zwietracht und für die Aufstände des Volkes gegen David, der ein gerechter König war. Deshalb heißt es Osee 13.: „Ich will dir einen König geben in meinem Zorne;“ und Osee 8.: „Sie herrschten, aber nicht von mir aus; als Fürsten standen sie da, und ich habe sie nicht gekannt.“ IV. Die Priester waren infolge ihrer Abstammung dem heiligen Dienste zugeteilt. Das geschah, damit sie mehr geachtet würden, wenn Priester nicht ein jeder werden könnte. Diese Achtung aber ward dann auf den göttlichen Kult übertragen. Und deshalb war es zweckentsprechend, daß ihnen aus Zehnten, Opfern, Erstlingen ein gewisser Lebensunterhalt gesichert wurde. Die Fürsten aber wurden dem ganzen Volke entnommen. Sie hatten also bereits Besitztümer, von denen sie leben konnten. Zudem verbot den Fürsten Gott im Gesetze zu große Reichtümer oder zu großen Pomp, damit sie 1. nicht zu leicht Tyrannen würden und damit 2. der Fürstenrang als ein arbeitsreicher und wenig Gewinn einbringender erkannt werde und sonach nicht der Ehrgeiz allzusehr sich auf ihn richtete, wodurch Aufstände vermieden wurden. V. Das war ein Recht, welches vielmehr vorhergesagt wurde als bewilligt; daß nämlich die Könige Tyrannen werden und so sich alle die da erwähnten Vorrechte nehmen würden. In diesem Sinne sprach Samuel, was aus dem Folgenden hervorgeht: „Sie hörten nicht auf die Stimme Samuels;“ weil er sie schrecken wollte, damit sie keinen König wählten.
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