Vierter Artikel. Die Vorschriften für die einzelne Familiengenossenschaft.
a) Dieselben sind nicht stichhaltig. Denn: I. „Der Knecht ist insoweit des Herrn,“ sagt Aristoteles. (1 Polit. 3 et 4.) Was aber jemand zu eigen hat, das hat er für immer. Also mußte keine zeitweise Knechtschaft bestehen. II. Rücksichtlich eines Tieres wird gesagt, es solle dem Besitzer wieder zugeführt werden, wenn es jemand herumirren findet. Also wird vom Knechte Deut. 23. unzulässigerweise gesagt: „Gieb nicht dem Herrn seinen Knecht zurück, wenn dieser zu dir geflohen ist.“ Denn Beides ist Eigentum des Herrn. III. Das Gesetz Gottes muß barmherziger sein wie das menschliche, welches den Herrn, der seinen Knecht zu hart züchtigt, zur Strafe zieht. Unzulässig also ist, was Exod. 21. steht: „Wenn jemand seinen Knecht oder seine Magd mit der Rute gepeitscht hat, und dieser einen Tag überlebt, so soll der Herr nicht bestraft werden; denn sein Besitz ist der Knecht oder die Magd.“ IV. Unzulässig ist die Bestimmung des „Gesetzes“, daß jemand seine Tochter als Magd verkaufen kann; da ist die Tochter mit einer Sklavin verwechselt. V. Dem Vater gehört es zu, den Sohn zu strafen. Grundlos also wird Deut. 21. geboten, der Vater solle seinen Sohn zu den Ältesten der Stadt führen, daß diese ihn bestrafen. VI. Deut. 7. verbietet der Herr die Heiraten mit Fremdgeborenen. (1. Esdr. 10.) Also erlaubt Deut. 21. unzukömmlicherweise, man könne die gefangenen unter den Fremdgeborenen zu Frauen nehmen. VII. Der Herr stellt Lev. 18. einige verbotene Verwandtschaftsgrade auf. Dementgegen wird Deut. 25. geboten, der Bruder des Gestorbenen solle seine Schwägerin heiraten. VIII. Wie die größte Vertraulichkeit, so muß auch die zuverlässigste Treue sein zwischen Mann und Frau. Dazu aber ist erforderlich die Unauflöslichkeit der Ehe. Also wird Deut. 24. grundlos erlaubt, man könne der Frau einen Scheidebrief geben und sie entlassen; und sogar später sie nicht mehr wiedernehmen. IX. Wie die Frau ihrem Manne, so kann der Sohn dem Vater, der Knecht dem Herrn die Treue brechen. Überflüssig also ist es, daß ein Opfer der Eifersucht (Num. 5.) angeordnet wird rücksichtlich der Frau, da für die anderen Fälle kein solches Opfer befohlen erscheint. Auf der anderen Seite steht Ps. 18.: „Die Urteile des Herrn sind wahr, gerechtfertigt in sich selbst.“
b) Ich antworte, nach 1 Polit. 1. sei die Gemeinschaft der in einer Familie lebenden Personen gemäß den täglichen Thätigkeiten, wodurch sie zu einander Beziehung haben. Das Leben des Menschen aber wird erhalten: 1. soweit es auf den einzelnen Menschen ankommt; und so stehen dem Menschen bei die äußeren Güter, welche ihm Nahrung, Wohnung, Kleidung geben, und mit Bezug darauf hat er Dienstleute; — 2. soweit es auf die Gattung „Mensch“ ankommt; und so hat der einzelne eine Frau, damit er Kinder erzeuge. So sind also drei Beziehungen in der Familie: die des Herrn zum Knechte, des Mannes zur Frau, des Vaters zum Kinde. Mit Bezug auf die Dienstleute gebietet das „Gesetz“, sie sollen maßvoll behandelt werden:
a) mit Rücksicht auf die Arbeit; denn Deut. 5. heißt es: „Am Sabbath soll der Knecht und deine Magd ruhen wie du selbst; —
b) mit Rücksicht auf die Strafe; denn Exod. 21. wird den Herren, die ihre Knechte verstümmeln, geboten, dieselben freizulassen; und ähnlich soll die Magd freigelassen werden, die jemand zur Frau nimmt. Ebenso sollen
c) die Knechte, welche aus dem Volke selbst stammen, im Jubiläumsjahre, also in jedem siebenten Jahre, frei sein mit Allem was sie mitgebracht hatten, auch mit den Kleidern. (Exod. 21.) Deut. 15. fügt noch das Gebot hinzu, man solle ihnen ein Zehrgeld geben. Mit Rücksicht auf die Frauen wird geboten (Num. ult.), man solle eine Frau nehmen aus dem betreffenden einzelnen Stamme, damit die Stämme sich nicht vermengten; und daß der Bruder des Gestorbenen, der keine Kinder erzeugte, die Frau desselben heirate, und so der Verstorbene Kinder erhalte kraft einer gewissen Adoption, damit sein Name nicht erlösche in Israel. Fremdgeborene Frauen solle man nicht heiraten wegen der Gefahr, verführt zu werden; und nahe verwandte aus natürlicher Scheu. Das Gesetz stellte zudem fest, wie die geheirateten Frauen behandelt werden sollten: 1. sie sollten nicht leichthin in schlechten Ruf gebracht werden, weshalb Deut. 21. befiehlt, jenen zu strafen, der eine solche Frau verleumdet; — 2. auf Grund des Hasses gegen die Gattin solle das Kind keinen Schaden leiden, nach Deut. 21.; — 3. und auch die Gattin solle nicht belästigt werden, vielmehr solle man ihr einen Scheidebrief geben und sie so entlassen (Deut. 24.); — 4. damit die Liebe unter Neuverheirateten gefördert werde, solle einem solchen Manne keine öffentliche Pflicht aufgelegt werden; frei soll er sich freuen mit seiner Gattin. Mit Rücksicht auf die Kinder bestimmte daß Gesetz: 1. Der Vater solle sie im Glauben unterrichten: „Wenn euere Kinder zu euch sagen: Was ist das für eine Religion? so antwortet ihnen: Dies ist das Sühnopfer für den Vorübergang des Herrn;“ 2. der Vater solle sie zu gutgesitteten machen. Deshalb sagen bei Deut. 21. die Väter: „Unsere Ermahnungen zu hören verachtet dieses Kind, Festschmausereien liebt es und Schwelgerei und Vergnügen.“
c) I. Weil die Kinder Israels aus der Knechtschaft befreit und Knechte Gottes geworden waren, wollte Gott nicht, daß einer aus ihnen für immer Knecht sei. Deshalb heißt es bei Lev. 25.: „Wenn dein Bruder, durch Armut gezwungen, sich dir verkauft hat, so sollst du ihn nicht bedrücken wie einen Sklaven, sondern wie ein Lohnarbeiter soll er sein und Ansiedler; denn meine Knechte sind es; ich habe sie aus Ägypten befreit, daß sie nicht verkauft werden sollen wie Sklaven.“ II. Dies wird von einem Herrn verstanden, der seinen Knecht zu töten suchte; oder der da wollte, daß er ihm bei einer Sünde helfe. III. War die Verletzung gewiß, so wurde der Herr für die Verstümmelung eines Knechtes mit dem Verluste desselben bestraft; für den Tod desselben mußte er mit dem Tode büßen, wenn der Knecht unter den Händen des Herrn, der schlug, starb. War die Verletzung ungewiß, bestand vielmehr nur ein äußerer Schein dafür, so bestimmte das Gesetz keinerlei Strafe, wenn es sich um den eigenen Sklaven handelte; nämlich, wenn der geschlagene Knecht nicht gleich starb, sondern erst nach einigen Tagen; denn es war dann ungewiß, ob er infolge der Schläge gestorben war. War nämlich ein freier Mann geschlagen worden und er starb wohl einige Tage nachher, konnte jedoch noch auf den Stock gestützt nach Hause gehen, so war der Schlagende nicht des Totschlages schuldig; sondern mußte nur die ärztlichen Behandlungskosten bezahlen. Weil Letzteres aber beim Knechte nicht notwendig war — denn der Knecht besaß nichts Eigenes, Alles in seinem Gebrauche gehörte dem Herrn, — so wird als Ursache angegeben dafür, daß der Herr im genannten Falle keiner Geldstrafe unterlag, „weil das Geld (des Knechtes) ihm (dem Herrn) gehört.“ IV. Kein Jude wurde eigentlich als Sklave oder Knecht schlechthin betrachtet, sondern als Lohnarbeiter bis zu einer gewissen Zeit. Deshalb konnte gemäß dem Gesetze der Vater seinen Sohn oder seine Tochter verkaufen, wenn ihn die Armut drängte. Das dafür gebotene Geld war gleichsam der Lohn für die geforderte Arbeit. Deshalb heißt es (l. c. in IV.): „Verkauft jemand seine Tochter als Magd, so soll sie nicht ausgehen, wie die (anderen) Mägde oder Sklavinnen auszugehen pflegen.“ Und so konnte auch jemand sich selbst verkaufen aus Not, nach Lev. 25.: „Wenn notgedrungen dein Bruder sich dir als Knecht verkauft, so sollst du ihn nicht bedrücken wie einen Sklaven, sondern Lohnarbeiter oder Mietling soll er dir sein.“ V. Nach Aristoteles (10 Ethic. ult.) wohnt der väterlichen Gewalt nur die Befugnis inne zu ermähnen; nicht durch Strafen zu zwingen, wie man Rebellen zwingt. Deshalb sollte ein verkehrter Sohn zum Richter geführt werden. VI. Eine fremdgeborene Frau sollte man nicht heiraten wegen der Gefahr der Verführung, zumal wenn es sich um benachbarte Völkerschaften handelte. Wollte aber eine solche Frau den Götzendienst verlassen und in den Kult Gottes aufgenommen werden, so durfte man sie heiraten. So heiratete Booz die Ruth, weshalb diese zu ihrer Schwiegermutter sagte: „Dein Volk sei mein Volk; dein Gott mein Gott.“ Und somit durfte auch eine gefangene nicht anders zur Frau genommen werden, wie nachdem ihr das Haupthaar geschoren, die Nägel abgeschnitten und das Kleid genommen war, worin man sie gefangen genommen hatte und Vater und Mutter mußte sie beweinen; denn dem Götzendienste hatte sie damit für immer abgeschworen. „Weil“ nach Chrysostomus (sup. Matth. hom. 49.) „bei den Juden der Tod ein nicht zu besänftigendes Übel war, die da Alles für das gegenwärtige Leben thaten; deshalb war festgesetzt, daß dem Verstorbenen ein Sohn geboren werden sollte von seiten des Bruders; was ihnen wie ein Beruhigungsmittel gegen den Tod vorkam. Nur der Bruder aber durfte eine solche Frau heiraten; denn nur so ward vorausgesetzt, der etwa geborene Sohn sei der Sohn des Verstorbenen. Der Bruder also handelte in diesem Falle in der Person des Bruders.“ VIII. Der Scheidebrief beruhte nach Matth. 19. nicht schlechthin auf Gerechtigkeit; sondern kam von der Herzenshärte der Juden. Darüber später mehr. IX. Die Frauen brechen die Treue durch Ehebruch und leichthin wegen des Ergötzens und dabei heimlich, denn „das Auge des Ehebrechers sucht die Dunkelheit;“ Job 24. Die Untreue des Sohnes und des Knechtes aber geht nicht aus Begierde nach Ergötzung hervor, sondern vielmehr aus wohl bedachter Bosheit, die nicht in dem Grade sich verbergen kann wie die Untreue der ehebrecherischen Frau. Es besteht also da keine Ähnlichkeit. XL.
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