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Werke Thomas von Aquin (1225-1274) Summa Theologiae Summe der Theologie
Tertia Pars
Quaestio 9

Dritter Artikel. Die Seele Christi besaß die eingegossene Wissenschaft.

a) Dies wird bestritten. Denn: I. Das Unvollkommene schwindet beim Herannahen des Vollkommenen,
wie das offenbare Schauen ausschließt ein Erkennen durch Rätsel in Figuren.
So aber verhält sich alles andere Wissen zur seligen Anschauung, nämlich
wie das Unvollkommene zum Vollkommenen. Also besteht kein anderes
geschaffenes Wissen in Christo wie das der seligen. II. Was als Vorbereitung zur vollendeten Kenntnis dient, ist nicht
mehr notwendig, wenn die vollendete Kenntnis selber gegeben ist. So wird
die bloße Meinung der Wahrscheinlichkeit, die opinio, nicht mehr erfordert,
wenn das zuverlässige Wissen durch einen festen Beweisgrund gewonnen
worden. Nun verhält sich alles andere Wissen zum seligen Wissen, wie
die Vorbereitung sich verhält zum Abschlüsse. Da also in Christo die Wissenschaft der seligen und somit der Abschluß aller Vollendung im Erkennen war,
so bestand da keinerlei Notwendigkeit für eine andere Art Wissen. III. Wie der körperliche Stoff im Vermögen ist zur sinnlich wahrnehmbaren, bethätigenden Form; so ist das Vernunftvermögen im nämlichen Verhältnisse zur geistigen Form. Der körperliche Stoff aber kann nicht zugleich vollendet werden durch zwei bethätigende Formen, von denen die eine vollendeter und die andere minder vollendet ist. Also kann die Seele nicht zugleich ein vollendeteres Wissen haben und ein weniger vollendetes. Auf der anderen Seite waren in Christo „alle Schätze des Wissens und der Weisheit“, nach Koloss. 2.

b) Ich antworte; es geziemte sich nicht, daß die vom „Worte“ angenommene Natur unvollendet sei. Nun ist die „mögliche“ Vernunft, welche die Kraft zu erkennen hat, im Vermögen und somit insoweit unvollendet mit Rücksicht auf die Erkenntnisformen, welche sie bethätigen und damit vollenden sollen. Und deshalb muß man in Christo annehmen eine eingegossene, der Seele eingeprägte Wissenschaft, insoweit das Wort Gottes der mit Ihm persönlich verbundenen Seele Erkenntnisformen oder Ideen einprägte für Alles, mit Rücksicht worauf die Vernunft im Vermögen ist, damit sie dies Alles thatsächlich erkenne. So hat ja Gott im Beginne der Erschaffung der Engelvernunft (Aug. 2. sup. Gen. ad litt.) solche Erkenntnisformen oder Ideen eingeprägt. Und auf Grund derselben besteht in den Engeln (4. sup. Gen. ad litt. 22, 24.) eine doppelte Art Kenntnis: die eine, die Morgenkenntnis; die andere, die Abendkenntnis. Durch die erstere erkennen sie die Dinge im ewigen Worte; durch die zweite in deren eigenen Naturen. Und ähnlich besteht in Christo die selige Kenntnis, vermöge deren die Dinge im „Worte“ gesehen werden; und es besteht ein eingegossenes Wissen, vermöge dessen die Dinge durch einzelne ihren Naturen entsprechende Ideen erkannt werden.

c) I. Das Unvollkommene ist im Glauben, dessen Natur nach, eingeschlossen; denn seiner Natur nach hat er als Gegenstand das Nicht-Geschaute. Und danach muß der Glaube schwinden beim Herantreten des Schauens. Die Kenntnis aber vermittelst entsprechender klarer Ideen schließt nichts ein, was dem seligen Wissen entgegen wäre. Also ist da keine Ähnlichkeit. II. Die Vorbereitung oder Verfassung führt einmal zur Vollendung;
und dann folgt sie aus der Vollendung. Durch die Wärme z. B. wird
das Feuer vorbereitet; aber die Wärme schwindet nicht, ist das Feuer einmal
da; — es ist dann eine Folge des Feuers. Ähnlich ist die Meinung, die
auf Wahrscheinlichkeit beruht, der vorbereitende Weg für zuverlässiges Wissen.
Ist aber solches Wissen da, welches vom festen Beweisgrunde kommt, so kann
dies ruhig bleiben, daß aus anderen, nämlich aus Wahrscheinlichkeitsgründen
nur eine Meinung folgt. Denn wer etwas zuverlässig vermittelst des Grun
des weiß, der kann auch die Zeichen der Wahrscheinlichkeit unterscheiden,
welche Anlaß geben zu einer bloßen Meinung oder opinio. Und so ist
in Christo ein eingegossenes Wissen; nicht als Weg zur Seligkeit, sondern
durch das selige Wissen bekräftigt. III. Die selige Kenntnis vollzieht sich nicht durch eine Ähnlichkeit
oder ein Bild (I. Kap. 12, Art. 2.); sondern richtet sich ohne Vermittlung
auf das göttliche Wesen, welches die Stelle der Erkenntnisform oder Idee
vertritt. Dieses Wesen nun überragt alles natürliche Verhältnis. Mit ihm
zugleich also kann man erkennen vermittelst von Erkenntnisformen oder
Ideen, welche dem Verhältnisse des Natürlichen in den Gegenständen entsprechen.

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