Vierter Artikel. In Christo war freies Wahlvermögen.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Damascenus (3. de orth. fide 14.) sagt: „Ein Ausdenken oder Mutmaßen (γνώμη) und ein Auswählen (προαίρεσις) im Herrn anzunehmen ist unmöglich, wenn dies im eigentlichen Sinne gelten soll.“ II. Nach Aristoteles (3 Ethic. 3.) „ist das Auswählen das Auffassen und Verstehen dessen was vorher beratschlagt worden.“ Ein Beratschlagen aber war nicht in Christo, da in Ihm keine Ungewißheit sich fand. III. Der freie Wille ist zwischen Gutem und Bösem; der Wille Christi war nur auf das Gute gerichtet. Auf der anderen Seite heißt es Isai. 7.: „Butter und Honig wird Er essen, damit Er wisse, das Üble zu verwerfen und das Gute zu erwählen.“ Dies wird aber von Christo ausgesagt.
b) Ich antworte; die Willensthätigkeit in Christo richtete sich 1. auf den Zweck als das schlechthin Gute; und 2. auf das Zweckdienliche, als auf das bedingungsweise Gute. Das Wollen nun schlechthin geht den Zweck an, nach 3 Ethic. 2.; das Wählen richtet sich auf das Zweckdienliche. Das Wollen schlechthin ist das Nämliche wie der mit der Natur gegebene Wille; das Wählen aber ist das Nämliche wie das auf dem Schließen vom Einen auf das Andere beruhende Wollen. Also giebt es in Christo freie Wahl, weil die genannte doppelte Willensthätigkeit sich da findet.
c) I. Damascenus schließt freie Wahl von Christo aus, soweit darin eingeschlossen ist das Zweifeln und Bedenken. Letzteres gehört aber nicht zum inneren Wesen des Wählens, wie Ephes. 1. gesagt wird: „Er hat uns erwählt in Gott,“ in dem kein Zweifeln, weil keine Unwissenheit ist. II. Das Wählen setzt das Beratschlagen voraus; jedoch folgt es nur, nachdem der Ratschlag durch das Urteil bereits bestimmt ist. Wenn also etwas zu thun geurteilt wird, wenn auch ohne Zweifeln und Untersuchungen, dies genügt zum Wählen. III. Der Wille Christi ist auf das Gute gerichtet; aber nicht auf dieses oder jenes Gute von vornherein; also kann Er wählen.
