Sechster Artikel. In Christo war kein Gegensatz zwischen den Willensthätigkeiten.
a) Ein solcher scheint da gewesen zu sein. Denn: I. Der Gegensatz in den Willensthätigkeiten wird erwogen gemäß dem Gegensatze in den Gegenständen, wie der Gegensatz in den Bewegungen abhängt vom Gegensatze der Abschlußpunkte. Christus aber wollte gemäß den verschiedenen Willensthätigkeiten einander Entgegengesetztes. Den Tod nämlich wollte Er nach dem göttlichen Willen; Er verschmähte ihn nach dem menschlichen. Deshalb sagt Athanasius (de natura hum. suscepta): „Wann Christus sagt: Vater, wenn es möglich ist, so gehe vorüber dieser Kelch; jedoch nicht mein, sondern Dein Wille geschehe; und wiederum: Der Geist ist bereit, aber das Fleisch ist schwach; so zeigt Er hier zwei Willen: den einen, der vor dem Leiden zurückschreckte; den anderen, göttlichen, der zum Leiden bereit war.“ Also war da ein Gegensatz. II. Gal. 5. heißt es: „Das Fleisch begehrt gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch.“ Da besteht also ein Gegensatz; und dieser Gegensatz war auch in Christo. Denn kraft des Willens der heiligen Liebe, den der heilige Geist in Ihm verursachte, wollte Er das Leiden: „Er wurde dargebracht, weil Er selber wollte“ (Is. 53.); und nach dem Willen des Fleisches schreckte Er zurück vor dem Leiden. III. Nach Luk. 22. „betete Christus im Todeskampfe.“ Streiten aber oder Kämpfen schließt einen Gegensatz ein. Auf der anderen Seite heißt es im sechsten Generalkonzil (Act. 18.): „Wir bekennen zwei Willen in Christo, die nicht einander entgegengesetzt sind, wie die Häretiker gottlos behaupten; sondern von denen der menschliche Wille folgt, nicht widerstreitet, nicht sich entzieht, vielmehr unterworfen ist dem göttlichen.“
b) Ich antworte, ein Gegensatz schließe Gegenüberstellung ein in ein und demselben und unter dem nämlichen Gesichtspunkte. Ist Letzteres nicht der Fall, so besteht kein Gegensatz; ein Mensch z. B. kann gesund oder schön sein mit Rücksicht auf den Fuß und nicht mit Rücksicht auf die Hand. 1. Also ist erfordert, daß der nämliche Gesichtspunkt maßgebend sei. Will z. B. der König, daß ein Räuber aufgehangen werde, unter dem Gesichtspunkte des allgemeinen Besten; und ein verwandter will dies nicht unter dem besonderen Gesichtspunkte der Verwandtschaft, so ist da kein Gegensatz; es müßte denn der verwandte seinen Willen soweit erstrecken,daß er das allgemeine Beste hindern will, denn dann fällt der Gesichtspunkt auf beiden Seiten in eins zusammen. 2. Ist erfordert, daß es der gleiche Wille sei. Denn will ein Mensch etwas gemäß dem sinnlichen Begehren und etwas Anderes gemäß der Vernunft, so ist da kein Gegensatz; es müßte denn das sinnliche Begehren so weit vorwiegen, daß es das vernünftige ändert; dann handelte es sich um den nämlichen Willen. In Christo aber war kein Gegensatz in den Willenskräften. Denn 1. verwarf weder das mit der Natur gegebene noch das sinnliche Wollen jenen Grund, wegen dessen der göttliche Wille das Leiden wollte. Nämlich auch der mit der Natur gegebene, einzig auf den Zweck bezogene Wille in Christo wollte das Heil des Menschengeschlechtes; aber es ging ihn nichts an, dieses Einzelne zu wollen als zweckdienlich; und das sinnliche Wollen erstreckte sich nicht so weit; — und 2. ward weder der göttliche noch der vernünftige Wille in Christo gehindert oder aufgehalten durch den natürlichen oder sinnlichen Willen. Und umgekehrt hinderte der göttliche oder vernünftige Wille nicht die Bewegung des natürlichen oder sinnlichen, insoweit dieser der Ordnung seiner Natur folgte. Also war in Christo keinerlei Widerstreit oder Gegensatz zwischen den Willenskräften.
c) I. Dies selbst, daß eine Willenskraft in Christo Anderes wollte wie der göttliche Wille, ging von diesem letzteren aus, kraft dessen Wohlgefallens die menschliche Natur in Christo ihre eigenen Thätigkeiten beibehielt. II. Der Fleischesstachel hindert in uns den geistigen Willen oder hält ihn auf; dieser aber war in Christo nicht. III. Der Todeskampf war in Christo nicht, soweit es auf den vernünftigen Teil der Seele ankommt, soweit also ein Kampf im Willen selber erwogen wird, welcher aus der Verschiedenheit der vernünftigen Gründe hervorgeht; wie wenn einer, den einen Grund berücksichtigend, Dies will, der andere aber, den anderen Grund berücksichtigend, Jenes. Dies kommt von der Schwäche der Vernunft, welche nicht sicher urteilen kann, was schlechthin besser ist. Dies war in Christo nicht. Er urteilte kraft seiner Vernunft allsogleich mit Sicherheit, wie es besser sei, daß durch sein Leiden der göttliche Wille erfüllt werde mit Rücksicht auf das menschliche Heil. Ein Todeskampf aber war in Christo, soweit es auf den sinnlichen Teil ankommt, der da mit sich bringt die Furcht vor drohendem Unheil (Damasc. 3. de orth. fide 18.).
