Erster Artikel. Christo kam es zu, zu beten.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. „Das Gebet ist ein Verlangen nach dem von Gott, was sich geziemt“ ( 3. de orth. fide 14.); Christus aber konnte Alles thun. Also brauchte Er um nichts zu beten. II. Man braucht nicht um das zu beten, was man mit Sicherheit als bevorstehend kennt; wie man nicht betet, daß die Sonne morgen aufgehe. Christus aber wußte Alles. III. Nach Damascenus (l. c.) „ist das Gebet ein Aufsteigen des Geistes zu Gott.“ Christus aber war Gott in Person und als Mensch schaute Er Gott. Also bedürfte Er keines Mittels, um zu Gott aufzusteigen. Auf der anderen Seite steht Luk. 6.: „Es geschah in jenen Tagen, daß Er hinausging auf den Berg um zu beten und Er brachte die Nacht zu im Gebete.“
b) Ich antworte, Gebet sei ein gewisses Auseinandersetzen des eigenen Willens vor Gott, damit Gott denselben erfülle. Wäre in Christo also nur ein Wille, nämlich der göttliche, so ziemte es Ihm nicht, daß Er bete; denn „Alles, was Er gewollt, hat der Herr gemacht“ (Ps. 134.). Da aber Christus einen menschlichen Willen hat und dieser nicht von sich aus wirksam ist, um zu erfüllen das, was er will, sondern nur auf Grund der göttlichen Kraft, so kommt es Christo als Menschen zu, zu beten.
c) I. Christus als Gott konnte Alles vollenden, was Er wollte; nicht aber als Mensch, da Er als Mensch nicht allmächtig war (Kap. 13, Art. 1.). Nichtsdestoweniger wollte Er, Mensch und Gott zugleich, zum Vater flehen; nicht als ob Er ohnmächtig sei, sondern um uns zu unterrichten: 1. Damit Er zeige, Er sei vom Vater, weshalb Joh. 11. es heißt: „Wegen des Volkes, das mich umgiebt, sprach ich (nämlich die Worte des Gebetes), damit sie glauben, daß Du mich gesandt hast,“ und Hilarius erklärt (10. de Trin.): „Er bedürfte keines Betens; für uns betete Er, damit man wisse. Er sei der Sohn;“ — 2. damit Er uns das Beispiel gebe für das Beten, weshalb Ambrosius sagt (sup. Luk. 6.): „Wolle nicht mit Hinterlist deine Augen öffnen, daß du etwa meinst, der Sohn bete wegen seiner Ohnmacht, damit Er erlange, was Er selber nicht leisten kann. Nein; der Urheber aller Macht, der Lehrer des Gehorsams, betet, damit Er uns zu den Geboten der Tugend hin durch sein Beispiel forme.“ Und Augustinus (tract. 140. in Joan.): „Der Herr in Knechtsgestalt konnte stillschweigend beten; aber so wollte Er vor dem Vater als Bittender erscheinen, daß Er daran gedenke, Er sei unser Lehrer.“ II. Christus wußte unter anderem Zukünftigen auch dies, daß Manches gemäß dem Willen des Vaters erfüllt werden sollte vermittelst seines eigenen Gebetes. III. „Aufsteigen“ ist nichts Anderes wie eine Bewegung nach dem hin, was oben ist. Nun wird der Ausdruck „Bewegung“ in doppeltem Sinne gebraucht: einmal im eigentlichen Sinne, gemäß dem daß etwas vom Stande des Vermögens ausgeht zu thatsächlichem Sein, also insofern damit das Thätigsein des Unvollendeten gemeint ist. Und danach sagt Damascenus (3. de orth. fide 24.): „Die menschliche Vernunft in Christo bedarf keines Aufsteigens zu Gott hin, da sie immer mit Gott geeint ist sowohl dem persönlichen Sein nach wie gemäß der seligen Anschauung.“ Dann wird „Bewegung“ gebraucht als Bezeichnung für das Thätigsein des Vollendeten, wie Einsehen und Empfinden Bewegungen genannt werden; und danach steigt die Vernunft Christi immer zu Gott auf, weil sie immer Gott betrachtet als denjenigen, der über ihr existiert.
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