Zweiter Artikel. Gemäß dem sinnlichen Teile kommt es Christo nicht zu, zu beten.
a) Das Gegenteil erhellt aus folgenden Gründen: I. Ps. 83. heißt es von der Person Christi: „Mein Herz und mein Fleisch haben aufgejubelt zum lebendigen Gotte hin.“ Die Sinnlichkeit aber ist das Begehren des Fleisches. Also konnte der sinnliche Teil in Christo jubelnd zu Gott aufsteigen und sonach beten. II. Demjenigen Teile kommt es zu, zu beten, dem Jenes angehört, was erbeten wird. Christus aber betete um etwas, wonach sein sinnlicher Teil verlangte, als Er sprach: „Es gehe vorüber vor mir dieser Kelch“ (Matth. 26.). III. Weit mehr ist es, mit Gott in der Person geeinigt zu werden wie durch das Gebet zu Gott emporzusteigen. Der sinnliche Teil Christi aber ward von Gott zur Einheit in der Person erhoben. Also konnte derselbe um so mehr zu Gott durch das Gebet aufsteigen. Auf der anderen Seite „ist der Herr“, nach Phil. 2., „den Menschen durchaus ähnlich geworden.“ Wir aber beten nicht gemäß dem sinnlichen Teile. Also war dies auch bei Christo nicht der Fall.
b) Ich antworte, Beten gemäß dem sinnlichen Teile könne man verstehen: 1. dahin, daß die Thätigkeit des Betens dem sinnlichen Teile angehört; und so hat Christus nicht gemäß der Sinnlichkeit gebetet; denn sein sinnlicher Teil hatte denselben Gattungs-Wesenscharakter wie in uns; in uns aber betet der sinnliche Teil nicht, weil einerseits dessen Thätigkeit nicht das Sichtbare übersteigen, also nicht zu Gott emporsteigen kann, und andererseits das Gebet eine gewisse Hinordnung des Einen zum Anderen in sich einschließt, insoweit jemand verlangt, daß etwas von Gott erfüllt werde; was allein die Vernunft kann (vgl. II. II. Kap. 83, Art. 1.), wonach das Gebet eben als Thätigkeit der Vernunft bezeichnet wird; — 2. dahin, daß der betende vor Gott hinstellt das, was in seinem sinnlichen Teile dem Begehren nach sich findet. Und in diesem letzten Sinne betete Christus gemäß seinem sinnlichen Teile, insoweit sein Gebet wie als Beistand der Sinnlichkeit ausdrückte deren natürliche Hinneigung. Damit unterrichtete Er uns nach drei Seiten hin: 1. daß Er wahrhaft und wirklich die menschliche Natur angenommen habe mit allen ihren natürlichen Hinneigungen; 2. daß es dem Menschen erlaubt sei, etwas gemäß der natürlichen Hinneigung zu wollen, was Gott nicht will; 3. daß der Mensch seinen Willen dem göttlichen unterwerfen solle. Deshalb sagt Augustin (Ps. 32. conscio 1.): „Christus als Mensch that dar einen gewissen Privatwillen des Menschen, indem Er sagte: Es gehe vorüber dieser Kelch; denn dies war der menschliche Wille, der da etwas Eigenes wie für die eigene Person wollte. Weil jedoch Christus will, daß der Mensch geraden Herzens sei und zu Gott hin sich richte, fügt Er hinzu: Nicht aber wie ich will sondern wie Du; als ob Er sagte: Schaue auf mich, Du kannst Etwas Eigenes wollen, obgleich Gott Anderes will.“
c) I. Das Fleisch jubelt zum lebendigen Gott hin; nicht als ob dies eine dem Fleische eigene Thätigkeit sei, sondern infolge des Überfließensder Freude vom Herzen aus in das Fleisch; insofern das sinnliche Begehren folgt dem vernünftigen. II. Der sinnliche Teil wollte wohl, was die Vernunft erflehte; dies aber im Gebete zu erflehen, war nicht Sache des sinnlichen Teiles, sondern der Vernunft. III. Die Einigung in der Person vollzieht sich gemäß dem persönlichen Sein, was zu jedem Teile der menschlichen Natur gehört. Das Aufsteigen zu Gott im Gebete aber vollzieht sich vermittelst einer Thätigkeit, die nur der Vernunft zugehört. Also stimmt der Vergleich nicht.
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