Zweiter Artikel. Christus war zugleich Priester und Opferlamm.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Sache des Priesters ist es, das Opferlamm zu töten. Christus hat aber nicht Sich selbst getötet. II. Das Priestertum Christi ist mehr ähnlich dem im Judentume wie dem bei den Heiden. Im Judentume aber war es verboten, Menschen zu opfern, nach Ps. 105.: „Sie gossen aus unschuldiges Blut, das Blut ihrer Söhne und ihrer Töchter, die sie opferten den Götzenbildern Kanaans.“ Nicht der Mensch Christus also durfte das Opferlamm sein. III. Jedes Opferlamm wird dadurch dargebracht, daß es Gott geweiht wird. Die menschliche Natur Christi aber war von Beginn an Gott geweiht. Also war nicht Christus als Mensch Opferlamm. Auf der anderen Seite heißt es Ephes. 5.: „Christus hat uns geliebt und hat Sich selbst für uns dahingegeben als Opferung und Opferlamm Gott zum angenehmen Wohlgeruche.“
b) Ich antworte, daß nach Augustin (10. de civ. Dei 5.) „jedes sichtbare Opfer ein Sakrament des unsichtbaren Opfers, d. h. ein heiliges Zeichen ist.“ Unsichtbar aber ist jenes Opfer, in welchem der Mensch Gott seinen Geist darbringt, nach Ps. 50.: „Ein Opfer Gott gegenüber ist ein zerknirschter Geist.“ Alles das also, was Gott dargebracht wird zu dem Zwecke daß der Geist des Menschen auf Gott sich richte, kann als Opfer bezeichnet werden. Der Mensch nun bedarf des Opfers wegen dreierlei: 1. wegen des Nachlasses der Sünde, die ihn von Gott abwendet; weshalb nach Hebr. 5. es den Priester angeht „Gaben und Opfer darzubringen für die Sünden;“ — 2. wegen der Beharrlichkeit im Stande der Gnade, wodurch er Gott anhängt und da sein Heil und seinen Frieden findet; weshalb im Alten Bunde ein Friedensopfer dargebracht wurde für das Heil der opfernden (Lev. 3.); — 3. wegen der Verbindung des Geistes mit Gott in der Herrlichkeit; weshalb im Gesetze Holokauste, Ganzopfer, dargebracht wurden, in denen man Alles verbrannte (Lev. 1.). Dies Alles aber wird uns im höchsten Grade durch das Menschsein Christi. Denn 1. sind unsere Sünden in Ihm getilgt worden, nach Röm. 4.: „Er ward überliefert wegen unserer Sünden; — 2. haben wir rettende und heilende Gnade durch Ihn empfangen, nach Hebr. 5.: „Er ward allen, die Ihm gehorchen, die Ursache des ewigen Heiles;“ — 3. erlangen wir durch Ihn die ewige Herrlichkeit, nach Hebr. 10.: „Wir haben Vertrauen auf Grund seines Blutes, in das Heilige einzugehen.“ Und so war Christus nicht nur Priester, sondern auch Opferlamm und zwar zugleich Friedensopfer, Sühnopfer und Ganzopfer.
c) I. Christus setzte sich freiwillig dem Tode aus, nach Isai. 53.: „Er ward geopfert, weil Er wollte.“ II. Die Tötung des Menschen Christus steht in Beziehung: 1. zum Willen der tötenden; und so hat Christus nicht den Charakter des Opferlammes; denn schwer gesündigt, nicht aber Gott ein Opfer dargebracht haben die Mörder Christi; dieser Sünde ähnlich waren die gottlosen Menschenopfer der Heiden; — 2. zum Willen Christi, der freiwillig dem Leidensich darbot; und darin hat Christus den Charakter des Opferlammes; dies stimmt aber nicht überein mit den Opfern der Heiden. III. Die Heiligkeit im Beginne hinderte nicht, daß die menschliche Natur in Christo, als sie im bitteren Leiden Gott dargebracht wurde, auf eine neue Weise Gott geweiht ward, nämlich als dargebrachtes Opferlamm. Denn sie erlangte da die thatsächliche Heiligung als Opferlamm auf Grund der im Beginne vorhandenen Liebe und auf Grund der Gnade der Einigung.
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