Vierter Artikel. Die seligste Jungfrau hat nichts in wirksam thätiger weise beigetragen in der Cinpfängnis des Leibes Christi.
a) Das Gegenteil scheinen zu behaupten: I. Damascenus (3. de orth. fide 2.), der da sagt: „Der heilige Geist kam über die seligste Jungfrau, um sie zu reinigen und ihr die Kraft mitzuteilen, das Wort Gottes in sich aufzunehmen sowie zugleich die Kraft, es zu zeugen.“ Nun hatte Maria die empfangende, bestimmbare Zeugungskraft von Natur, wie jede andere Frau; also erhielt sie eine wirksam bestimmend zeugende Kraft. II. Averrhoës, der in seinen Kommentaren zu 2. de anima, com. 33. sagt: „Alle Kräfte der Pflanzenseele sind wirksam bestimmende.“ Nun gehört das Zeugungsvermögen sowohl im Manne wie in der Frau zurPflanzenseele. Also ist es sowohl im Manne wie in der Frau in bestimmender, wirksamer Weise thätig. III. Das Weib bietet für die Empfängnis der Frucht den Stoff, aus dem kraft der Natur der Körper gebildet wird. Die Natur aber ist das Princip der Bewegung im Innern des Dinges selber. Also war im Stoffe selbst„ den Maria bot für die Empfängnis Christi, ein irgend welches wirksam thätiges Princip. Auf der anderen Seite wird das wirksam bestimmende, formende Princip bei der Zeugung der maßgebende Grund im Samen genannt. Augustin aber schreibt (10. sup. Gen. ad litt. 20 et 21.): „Der Körper Christi ward im bloßen körperlichen Stoffe nur gemäß dem göttlichen maßgebenden Grunde für die Empfängnis und Formung aus der Jungfrau genommen; nicht war irgend ein maßgebender, bestimmend wirkender Grund auf seiten der Jungfrau.“ Also in nichts griff die Jungfrau Maria thätig wirksam ein bei der Empfängnis.
b) Ich antworte, manche sagen, sowohl gemäß der natürlichen wie der übernatürlichen Kraft habe Maria etwas in bestimmend wirksamer Weise zur Empfängnis Christi beigetragen. Denn sie nehmen zuvörderst in jedem rein natürlichen Stoffe ein wirksam thätiges Princip an; sonst, meinen sie, sei eine Änderung, ein Wechsel im Bereiche der Natur nicht möglich. Darin aber täuschen sie sich. Denn ein Wechsel oder eine Änderung wird „natürlich“ genannt wegen des dem betreffenden Dinge innerlichen Princips überhaupt, sei dies das thätig einwirkende oder das bestimmbar empfangende. Deshalb sagt Aristoteles ausdrücklich (8 Physic.), in den schweren und leichten Körpern sei ein empfangendes, bestimmbares Princip für die natürliche Bewegung, nicht ein wirksam bestimmendes. Und zudem ist es gar nicht möglich, daß der Stoff wirksam bestimmend beitrage zu seiner eigenen Formierung, weil er seinem ganzen Wesen nach nichts gemäß dem thatsächlichen Sein, nichts Thatsächliches ist. Auch kann nichts sich selbst in Bewegung setzen, außer es zerfalle in zwei Teile, von denen einer der bewegende und der andere der in Bewegung gesetzte ist; was nur statthat bei den sinnbegabten Wesen. Was sodann die übernatürliche Kraft betrifft, so sagen sie, es eigne der Mutter zu, daß sie nicht nur den Stoff biete, nämlich das oben beschriebene Blut; sondern auch den Samen, der, vermischt mit dem männlichen Samen, bestimmend wirksame Kraft hat bei der Zeugung. Und weil nun in Maria keine Auflösung des Samens statthatte wegen ihrer überaus unversehrten Jungfräulichkeit, deshalb sagen sie, es sei ihr vom heiligen Geiste in übernatürlicher Weise jene thätig wirksame Kraft bei der Empfängnis des Leibes Christi zuerteilt worden, welche andere Mütter haben auf Grund der Auflösung des Samens. Dies aber kann nicht so sein. Denn da jegliches Ding ist wegen des ihm zukommenden Thätigseins (2. de coelo), so würde die Natur behufs der Zeugung nicht unterscheiden das Geschlecht des Männlichen von dem des Weiblichen, wenn nicht geschieden wäre der Charakter des Thätigseins im Männlichen von dem des Thätigseins im Weiblichen. Nun besteht in der Zeugung das Thätigsein des bestimmend Einwirkenden und des bestimmbar Empfangenden. Also ist die ganze bestimmend einwirkende Kraft auf seiten des Männlichen; und das ganze bestimmbare Empfangen oder Leiden steht auf seiten des Weiblichen. Und deshalb ist in den Pflanzen, wo diesebeiderseitige Kraft in eins vermischt wird, kein Unterschied von Männlichem und Weiblichem. Weil also nicht dies die seligste Jungfrau empfangen hat, daß sie der Vater Christi sei, sondern die Mutter; so hat sie keinerlei bestimmend einwirkende Kraft für die Empfängnis empfangen und sie hat nichts gethan, woraus folgen würde, daß sie der Vater Christi gewesen sei. Also hat Maria nur den bestimmbaren Stoff für den Leib Christi geboten.
c) I. Jene Empfängnis hatte drei Vorrechte: 1. Sie war ohne die Erbsünde; 2. der Gottmensch, nicht ein bloßer Mensch wurde da empfangen; — 3. sie war die Empfängnis von seiten einer Jungfrau. Und diese drei Vorrechte kamen vom heiligen Geiste. Deshalb sagt Damascenus mit Rücksicht auf das erste, der heilige Geist hätte sie gereinigt, d. h. den fomes fortgenommen, damit sie nicht mit der Erbsünde empfange; — mit Rücksicht auf das zweite, sie hätte die Kraft erhalten, das Wort Gottes in sich zu empfangen; — mit Rücksicht auf das dritte, daß sie zugleich auch die zeugende Kraft erhielte; nicht nämlich, daß sie thätig wirksam und bestimmend in die Empfängnis eingreife, sondern daß sie Jungfrau bleibe und doch zeuge, was nämlich in den anderen Müttern auf Grund des männlichen Samens sich vollzieht. II. Die zeugende Kraft im Weibe ist unvollendet im Vergleiche mit der im Manne. Und wie deshalb (2 Physic.) unter den Künsten die niedrigere den Stoff vorbereitet und die höhere die bestimmende Form einprägt, so bereitet die zeugende Kraft im Weibe den Stoff vor; und die wirksame bestimmende Kraft des Mannes formt den so vorbereiteten Stoff. III. Damit die Änderung eine natürliche sei, genügt, daß im Stoffe das empfangende, bestimmbare Princip sei; es braucht da kein wirksam bestimmendes zu bestehen.
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