Vierter Artikel. Über die Reinigung Marias im Tempel.
a) Dies hätte Maria nicht thun sollen. Denn: I. In der seligsten Jungfrau war keinerlei Unreinheit (vgl. oben). II. Lev. 12. wird gesprochen „von einer Frau, die kraft des männlichen Samens gebiert; sie soll unrein sein durch sieben Tage“. Das findet aber auf Maria keine Anwendung. III. Eine Reinigung in der Seele geschieht nur durch die Gnade; diese aber verliehen die Sakramente des Alten Bundes nicht. Auf der anderen Seite steht die Schrift (Luk. 2, 22.).
b) Ich antworte, wie die Fülle der Gnade von Christo in die Mutter sich ableitete, so geziemte es sich, daß auch in der Demut dem Sohne die Mutter gleichförmig würde; denn „den demütigen giebt Gott seine Gnade“ (Jak. 4.). Wie also Christus, der nicht an das Gesetz gebunden war, sich aus freien Stücken demselben unterwarf, sich beschneiden und darstellen ließ; so wollte auch Maria das Beispiel der Demut geben und unterwarf sich den Gesetzesvorschriften, an die sie an und für sich nicht gebunden war.
c) I. Nicht weil Maria der Reinigung bedurft hätte, sondern im Geiste des Gehorsams wollte sie das Gesetz erfüllen. Deshalb wird Luk. 2. ausdrücklich gesagt: „Es waren voll geworden die Tage der Reinigung gemäß dem Gesetze;“ als ob der Evangelist sagen wollte, sie selbst hätte deren nicht bedurft. II. Moses scheint ausdrücklich so gesprochen zu haben, damit er die Mutter Gottes ausnehme und diese demnach nicht für sich an das Gesetz gebunden sei, die da nicht „durch männlichen Samen“ empfangen hat. III. Die Sakramente des Alten Bundes reinigten nicht vom Flecken der Schuld, sondern dafür waren sie Figur. Sie reinigten von äußerlicher Unreinheit; von solcher nämlich, die da hinderte, an den Wohlthaten des Gesetzes nach allen Seiten hin teilzunehmen; was da war wie eine Irregularität (vgl. I., II. Kap. 102, Art. 5 ad 5, 6 u. 7.).
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