Erster Artikel. Es war geziemend, daß Christus versucht wurde.
a) Dies war nicht zukömmlich. Denn: I. „Versuchen“ heißt einen Versuch machen. Man macht aber keinen Versuch mit einer Kraft, die man kennt; wie das mit der Kraft Christi gegenüber den Dämonen der Fall war. Denn nach Luk. 4. „wußten letztere, daß Er Christus sei.“ II. Christus kam nach 1. Joh. 3., „damit Er die Werke des Teufels zerstöre.“ Da hätte Er sie aber nicht an Sich selber zulassen sollen. III. Christus ist weder vom Fleische noch von der Welt versucht worden. Also war auch die Versuchung vom Teufel her überflüssig. Auf der anderen Seite steht Matth. 4, 1.
b) Ich antworte, Christus habe versucht werden wollen: 1. Damit Er uns Beistand leiste, wenn wir versucht werden. Deshalb sagt Gregor der Große (hom. 16.): „Nicht war es unseres Heilandes unwürdig, daß Er versucht werden wollte, da Er sogar gekommen war, um getötet zu werden. Wie Er nämlich gekommen war, unseren Tod durch den seinigen zu überwinden, so war es dementsprechend, daß Er unsere Versuchungen durch die seinigen besiegte.“ 2. Damit keiner, so heilig er sei, sich für sicher halte. Deshalb wollte Er auch nach der Taufe versucht werden. Denn, sagt Hilarius (sup. Matth. cap. 3.), „in uns, den geheiligten, richten am meisten Verheerung an die Versuchungen des Teufels, weil ihm der Sieg über heilige Seelen mehr erwünscht ist.“ In diesem Sinne ermahnt Ekkli. 2.: „Mein Sohn, wenn du herantrittst an den Dienst Gottes, so bereite deinen Geist vor zur Versuchung und halte fest an der Gerechtigkeit und an der Furcht.“ 3. Damit Er uns ein Beispiel gebe; wie Augustin sagt (4. de Trin. 13.): „Christus hat dem Teufel erlaubt, daß er Ihn versuche, damit Er uns Mittler sei bei unseren Versuchungen nicht nur durch seinen Beistand, sondern auch durch sein Beispiel.“ 4. Damit Er uns Vertrauen auf seine Barmherzigkeit einflöße, nach Hebr. 4.: „Wir haben keinen Hohepriester, der nicht könnte Mitleid haben mit unserer Schwäche, in Allem versucht ähnlich wie wir ohne Sünde.“
c) I. „Christus wurde den Dämonen bekannt soweit Er wollte; nicht durch das ewige Leben, sondern durch einige zeitliche Wirkungen seiner Kraft,“ sagt Augustin (9. de civ. Dei 21.). Wenn sie aber auch einige Zeichen seiner Kraft sahen, aus denen sie schlossen, Christus sei Gott; so sahen sie doch auch wieder Zeichen der menschlichen Schwäche, so daß es ihnen nicht feststand, daß Christus der Sohn Gottes sei. Deshalb sagt Hilarius zu Matth. 4. (postquam esuriit): „Der Versucher hätte nicht gewagt, sich zu nahen, wenn er nicht an der Schwäche des hungernden gesehen hätte, daß er Mensch sei.“ Darum fängt auch der Teufel an: „Wenn Du der Sohn Gottes bist,“ wozu (Luk. 4.) der heilige Ambrosius sagt: „Der Teufel wußte, daß der Sohn Gottes kommen würde; aber er meinte nicht, daß er in solch körperlicher Schwäche gekommen wäre.“ II. Christus wollte die Werke des Teufels nicht durch seine Allmacht zerstören, sondern dadurch vielmehr daß Er unter ihm und seinen Gliedern litt. Er wollte durch Gerechtigkeit siegen, nicht durch Macht, nach Augustin (3. de Trin. 13.). Sonach muß hier unterschieden werden das, was Christus aus freiem Willen that und was Er vom Teufel litt. Denn daß Er sich dem Versucher überließ, das kommt von seinem eigenen Willen; weshalb es Matth. 4. heißt: „Vom Geiste ist Jesus in die Wüste geführt worden, daß Er versucht würde vom Teufel,“ wozu Gregor der Große bemerkt (hom. 16. in Evgl.): „Dahin führte Ihn sein eigener Geist, wo Ihn der böse Geist fand, damit er Ihn versuche.“ Vom Teufel aber hat Er es sich gefallen lassen, daß Er auf die Spitze des Tempels geführt wurde oder auf einen hohen Berg. Und „wunderbar ist es nicht, daß jener sich hat vom Teufel auf einen Berg führen lassen, der gestattete, daß Er von den Gliedern des Teufels gekreuzigt werde“ (l. c.). Freilich wurde Er auch hier nicht vom Teufel geleitet wie aus Zwang; sondern „Er folgte auf den Platz der Versuchung wie ein starker Kämpfer, der von freien Stücken auf den Kampfplatz geht“ (Orig. hom. 31. in Luc.). III. Nach Hebr. 4. „wollte Christus in Allem versucht werden ohneSünde.“ Die Versuchung allein aber, die vom Feinde ausgeht, vollzieht sich durch Überredung von außen her und kann somit ohne Sünde sein. Die Versuchung vom eigenen Fleische her kann nicht ohne Sünde sein, denn eine derartige Versuchung geschieht durch Ergötzen oder Begehren; „und immerhin ist es einigermaßen bereits Sünde, wenn das Fleisch begehrt gegen den Geist,“ sagt Augustin (19. de civ. Dei 4.). Also vom Feinde wollte der Herr versucht werden, nicht vom eigenen Fleische.
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