Erster Artikel. Christo war es zukömmlich, Wunder zu wirken.
a) Christus hätte keine Wunder wirken sollen. Denn: I. Die That mußte Christi Wort entsprechen. Matth. 12. aber sagt Er: „Das böse und ehebrecherische Geschlecht fragt nach einem Wunder; und fürwahr ein anderes Wunder wird ihm nicht gegeben werden wie das Wunder des Jonas.“ Also hätte der Herr keine Wunder wirken sollen. II. In der zweiten Ankunft soll Christus kommen „in großer Kraft und Herrlichkeit“ (Matth. 24.); in der ersten „als Mann der Schmerzen und der da weiß die Schwäche“. Also war da kein Wunder als Äußerung der inneren Kraft angebracht. III. Christus sollte die Menschen selig machen durch den Glauben, nach Hebr. 12, 2. Wunder aber mindern das Verdienst des Glaubens, nach Joh. 4.: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubet ihr nicht.“ Auf der anderen Seite heißt es Joh. 11.: „Was sollen wir thun, da dieser Mensch so viele Wunder macht?“
b) Ich antworte, die Wundergabe werde von Gott verliehen wegen zweierlei: 1. Zur Bekräftigung der Wahrheit dessen, was jemand lehrt. Denn da die Glaubenswahrheiten nicht durch Beweisgründe gestützt werden können, so müssen sie bekräftigt werden durch Zeichen der göttlichen Macht, so daß nämlich, wenn jemand wirkt das, was nur Gott wirken kann, man glaube, das, was er sagt, sei von Gott. So wird, wenn ein Bote Briefe bringt, die mit dem königlichen Siegel versehen sind, geglaubt, daß deren Inhalt den Willen des Königs anzeige. 2. Damit gezeigt werde, wie Gott gegenwärtig sei durch die Gnade des heiligen Geistes in jenem, der Wunder wirkt. Deshalb heißt es Gal. 3.: „Der da euch gegeben hat den heiligen Geist, Er wirkt die Wunderkräfte in euch.“ Da nun bei Christo zu offenbaren war, daß Gott in Ihm sei durch die Gnade und zwar durch die Gnade der Einigung, und daß seine Lehre von Gott herstamme; war es höchst zulässig, daß Er Wunder wirkte, nach Joh. 10.: „Wollt ihr mir nicht glauben, so glaubet meinen Werken;“ und Joh. 5.: „Die Werke, die der Vater mir gab, daß ich sie wirke, geben Zeugnis von mir.“
c) I. Dies ist nach Chrysostomus (hom. 44. in Matth.) so zu verstehen, daß ihnen jetzt, für jenen Augenblick, kein Wunder gegeben ward vom Himmel, wie sie forderten; nicht daß Er überhaupt leine Wunder wirken werde. Oder Er machte wegen ihrer keine Wunder; sondern wegen derer, die guten Willens waren, sich zu bekehren. II. Christus kam in der Schwäche des Fleisches, welche durch das Leiden sich offenbarte; und Er kam in der Kraft Gottes, welche durch Wunder kund wurde. III. Die Wunder vermindern insoweit das Verdienst des Glaubens, als dadurch die Herzenshärte jener dargethan wird, die nicht dem aus der heiligen Schrift Bewiesenen glauben wollen außer auf Wunder hin. Und doch ist es besser, daß sie durch Wunder zum Glauben kommen als daß sie in Unglauben verharren; denn 1. Kor. 14. heißt es: „Wunder geschehen wegen der ungläubigen,“ damit sie nämlich sich bekehren.
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